Der Tod des Achilles

Am anderen Morgen trugen seine Volksgenossen, die Pylier, den Leichnam ihres Königssohnes Antilochos unter Wehklagen hinweg zu den Schiffen und bestatteten ihn dort an den Ufern des Hellespontes. Der greise Nestor aber blieb fest in seinem Gemüt und bewältigte den Schmerz durch Besonnenheit. Achilles jedoch rastete nicht. Sein Grimm über den Tod des Freundes jagte ihn mit Tagesanbruch unter die Troianer, die auch schon kampflustig ihre Mauern verlassen hatten, obgleich sie vor dem Speer des göttergleichen Achilles bebten. Bald wurde der Kampf wieder allgemein, der Held erschlug eine Unzahl von Feinden und verfolgte die Troianer bis vor die Stadt. Hier, seiner übermenschlichen Kraft sich bewußt, schickte er sich an, die Torflügel aus den Angeln zu heben, die Riegel zu öffnen und den Griechen die Stadt des Priamos aufzutun.

Aber Phoibos Apollon, der vom Olymp herab den unermeßlichen Haufen Erschlagener überschaute, fing an, ihm unerbittlich zu zürnen. Wie ein reißendes Tier stieg er vom Göttersitze hernieder, den Köcher mit den unheilbar tötenden Pfeilen auf dem Rücken. So trat er dem Peliden entgegen; Köcher und Pfeile klirrten, sein Auge flammte, unter dem Wandelnden erbebte der Boden. Und nun, dem Helden im Rücken, ließ er seine furchtbare Stimme erschallen: "Laß von den Dardanern ab, o Pelide, wüte nicht so rasend! Hüte dich, daß nicht einer der Unsterblichen dich verderbe!" Achilles kannte die Stimme des Gottes wohl, aber er ließ sich nicht einschüchtern, und ohne die Warnung zu beachten, rief er ihm laut entgegen: "Was willst du mich reizen, mit Göttern zu kämpfen, indem du immerdar die Frevler, die Troianer, begünstigst? Schon einmal hast du mich in Zorn gebracht, als du mir zum erstenmal Hektor entrissest. Nun rate ich dir, entweiche fern zu den anderen Göttern, daß dich mein Speer nicht treffe, obwohl du unsterblich bist!"

Mit solchen Worten wandte er sich von Apollon ab den Feinden wieder zu. Der zürnende Phoibos aber verhüllte sich in ein schwarzes Gewölk, legte einen Pfeil auf seinen Bogen und schoß aus dem Nebel den Peliden in die verwundliche Ferse. Ein stechender Schmerz durchfuhr auf der Stelle den Achilles bis ans Herz hinan, und wie ein unterhöhlter Turm stürzte er plötzlich zu Boden. Liegend spähte er rings um sich her und schrie mit schneidendem, furchtbarem Tone: "Wer hat mir aus der Ferne den tückischen Pfeil zugeschickt? O daß er mir im offenen Kampf entgegentrete, wie wollte ich ihm sein Gedärm aus dem Leibe zerren und all sein Blut vergießen, bis seine verfluchte Seele in den Hades führe! Aber aus dem Verborgenen stellen die Feiglinge dem Tapferen immer nach! Wisse er dies, und wenn es ein Gott wäre, der mir zürnt. Denn, wehe, mir ahnet, daß es Apollon sei. Auch hat mir Thetis, meine Mutter, einst geweissagt, daß ich am skaeischen Tore dem verderblichen Pfeil des Phoibos erliegen werde, und wohl hat sie die Wahrheit gesprochen!"

So stöhnte der Held und zog den Pfeil aus der unheilbaren Wunde. Zornig schleuderte er ihn weg, als er das schwarze Blut nachquellen sah, und Apollon hob ihn auf und kehrte mit ihm, verhüllt in die Wolke, zum Olympos zurück. Hier trat er aus dem Nebel hervor und mischte sich wieder unter die anderen Olympier. Ihn bemerkte Hera, die Freundin der Griechen, und mit bitterem Unmut fing sie an ihn zu schelten: "Du hast eine verderbliche Tat getan, Phoibos! Hast du doch an der Hochzeit des Peleus mitgeschmaust und mitgesungen, wie die anderen Götter, und, dem Peleus zutrinkend, ihm Nachkommen gewünscht. Und dennoch hast du die Troianer begünstigt und ihm endlich den einzigen Sohn getötet! Das hast du aus Neid getan. Törichter, mit welchem Blick willst du künftig die Tochter des Nereus ansehen?"

Apollon schwieg und setzte sich seitwärts von den Göttern, den Blick zu Boden gesenkt. Die einen von den Olympiern zürnten, die anderen dankten ihm im Herzen. Dem Achilles aber kochte das dunkle Blut in den unbändigen Gliedern noch immer von Kampflust, und kein Troianer wagte es, dem Verwundeten zu nahen. Noch einmal erhob er sich mit einem Sprung vom Boden, stürzte, den Speer schwingend, unter die Feinde und traf damit den Freund seines alten Gegners Hektor, Orythaon, an die Schläfe, daß die Spitze diesem ins Gehirn drang. Dann stieß er dem Hipponoos den Speer ins Auge, durchbohrte dem Alkathoos die Wange und raubte noch vielen Fliehenden das Leben. Jetzt aber wurden seine Glieder kalt, er mußte still halten und sich auf die Lanze stützen. Die Troianer flohen noch immer vor ihm und seiner Stimme, denn er donnerte den Fliehenden nach: "Laufet nur davon, auch nach meinem Tode werdet ihr meinem Speer nicht entgehen, sondern meine Rachegötter werden Strafe an euch nehmen!" Sie flohen zitternd, denn sie glaubten, er sei noch unverwundet. Ihm aber erstarrten die Glieder, und er sank hin unter die anderen Toten, daß die Erde dröhnte und seine Waffenrüstung einen dumpfen Klang von sich gab.

Zuerst wurde seinen Fall Paris gewahr, sein Todfeind. Mit einem lauten Freudenschrei ermahnte er die Troianer, sich der Leiche zu bemächtigen, und nun versammelten sich eine Menge Streiter um den Toten, die früher seine Lanze gemieden oder erfahren hatten. Aber der Held Aias umkreiste die Leiche und verscheuchte mit hoch emporgehaltenem Speer alle Feinde, die sich nahten, und wenn sich einer zum Kampf mit ihm herbeiwagte, so empfing er den Todesstoß. Endlich beschränkte sich Aias nicht mehr auf den Verteidigungskampf, sondern brach los gegen die Troianer und richtete ein gräßliches Blutbad unter ihnen an. Hier fiel auch der Lykier Glaukos und der edle Troianerheld Aineias ward verwundet. An des Aias Seite kämpften Odysseus und andere Danaer, doch leisteten die Troianer immer noch hartnäckigen Widerstand; ja, Paris wagte es, mit dem Speer plötzlich auf Aias zu zielen. Dieser aber nahm den Augenblick wahr, ergriff einen Feldstein und zerschmetterte ihm damit den Helm, daß er in den Staub sank und die Pfeile aus seinem Köcher sich hier und dorthin zerstreuten. Kaum hatten seine Freunde Zeit, den schwach Atmenden auf den Wagen zu heben und mit Hektors Rossen nach Troia zurückzuführen. Als nun Aias die Troianer alle in die Stadt zurückgescheucht hatte, eilte er über Leichen, Blut und Rüstungen zurück zu dem Hellespont.

Derweil hatten die Könige den Leichnam des Achilles vom Schlachtfeld zu den Schiffen getragen und umringten ihn in grenzenlosem Schmerz. Und am lautesten tönte jetzt die Klage des herzugekommenen Aias, welcher in dem hinweggerafften Helden den teuren Sohn eines Oheims bejammerte. Auch der greise Fürst Phoinix ergoß sich in die bittersten Klagen, indem er den riesigen Leib des gewaltigen Peliden umschlungen hielt. Er gedachte des Tages, da Peleus, der Vater des gefallenen Helden, ihm das Kind ans Herz legte, und ihm die Erziehung desselben übertrug; auch des Tages, da sein Zögling sich mit ihm aufmachte, gen Troia zu ziehen. Und nun mußten Vater und Erzieher das Kind überleben!

Auch die Atriden beweinten ihn und alle Griechen; unaufhörlich stieg Klagegeschrei zum Himmel auf und tönte dumpf von den Schiffen wider.

Endlich machte der greise Nestor, seines eigenen, noch unbegrabenen Sohnes gedenkend, den Klagen ein Ende, indem er sie daran erinnerte, den Leichnam des Helden zu waschen, aufs Lager zu legen und ihm dann die letzte Ehre der Toten zu erweisen. Dies geschah; der Leib des Peliden wurde mit warmem Wasser abgewaschen und mit schönen Gewändern umhüllt, die ihm seine Mutter Thetis mit auf den Zug gegeben hatte. Als er nun so im Zelte niedergelassen dalag, warf Athene vom Olymp herab einen mitleidigen Blick auf ihren Liebling und träufelte ihm aufs Haupt einige Tropfen Ambrosia, von dem Götterbalsam, von dem es heißt, daß er die Toten vor Entstellung und Verwesung bewahre. Dadurch machte sie ihn frisch und einem Lebendigen ähnlich. Auf die Stirn legte sie ihm den schrecklichen Ausdruck, von dem sein Antlitz beseelt war, als er über den Tod seines geliebten Patroklos zürnte, und dem ganzen Leibe verlieh sie ein schönes und lebensvolles Ansehen. Alle Argiver, welche ihn zu sehen kamen, ergriff Staunen, wie der Held in riesiger Größe, schön und herrlich auf dem Lager ruhte, als läge er da in friedlichem Schlummer und würde nun bald wieder erwachen.

Die laute Wehklage der Griechen um ihren größten Helden drang auch in die tiefe See zu seiner Mutter Thetis und den übrigen Töchtern des Nereus, die dort wohnen. Ungeheurer Schmerz durchdrang ihre Gemüter, und sie stöhnten so jammervoll, daß der Hellespont widerhallte. Voll Begierde eilten sie nächtlicherweile in Scharen durch die sich vor ihnen teilende Meerflut herauf an den Strand, wo die Schiffe der Griechen standen. Alle Ungeheuer des Meeres stöhnten mit ihnen; sie aber nahten sich wehklagend dem Leichnam, und Thetis, ihr Kind mit den Armen umschlingend, küßte ihn auf den Mund und weinte, daß der Boden naß wurde von ihren Tränen. Die Danaer aber wichen mit ehrfurchtsvollem Grausen zurück vor den meerentstiegenen Göttinnen und nahten sich dem Leichnam erst wieder, als jene sich entfernt hatten und der Morgen anbrach. Da trugen sie unzählige Bäume vom Berge Ida herab, türmten sie hoch auf, legten auf den Scheiterhaufen die Rüstungen vieler Erschlagener, geschlachtetes Opfervieh, Gold und edle Metalle; die Helden der Griechen schnitten ihr Haar ab, und auch Briseis, die geliebte Sklavin des Toten, brachte die Locken als letztes Geschenk ihrem Gebieter dar. Dann gössen sie viele Krüge Öles über das aufgeschichtete Holz als Trankopfer, stellten Schalen mit Honig und lieblichem Weine, welcher wie Nektar duftete, auch mit edlen Gewürzen gefüllt, in das Gerüste; zuoberst auf den Holzstoß wurde der Leichnam gelegt. Darauf machten sie in voller Waffenrüstung zu Roß und zu Fuß die Runde um den düsteren Holzstoß. Nun wurde der Scheiterhaufen angezündet, und die verzehrenden Flammen schlugen unter dem Wehklagen der Krieger empor. Aiolos aber sandte auf des Zeus Befehl seine schnellsten Winde, die mit Sturmhauch in die aufgeschichteten knisternden Bäume fuhren, daß die Glut in wenigen Stunden den Holzstoß mitsamt dem Leichnam in Asche verwandelte. Die letzten Flammen löschten sie mit Wein. Da lagen die Gebeine des Helden wie die Knochen eines Giganten, getrennt von allem, was zugleich mit ihnen verbrannt worden war. Seine Genossen sammelten dieselben seufzend und legten sie in einen geräumigen, aus Silber und Gold gehämmerten Kasten, der auf der erhabensten Stelle des Gestades neben seines Freundes Patroklos Gebein in die Erde gesenkt und mit einem hohen Grabhügel überdeckt wurde.

Auch die unsterblichen Rosse des Helden ahnten seinen Fall; sie rissen die Stränge los, mit welchen sie angebunden waren, und wollten nicht länger die Mühseligkeiten der Menschen teilen. Nur mit Mühe wurden sie von den Freunden des Gefallenen eingeholt und ihr Kummer beschwichtigt.