Der Schild des Aineias

Mittlerweilen ging Hephaist, von seiner Gattin Aphrodite durch Bitten getrieben, in die Aitnakluft der Kyklopen, die Waffen des Aineias, die ihm den Sieg über die Latiner verschaffen sollten, zu schmieden. Er nahte sich der donnernden Höhle, die ganz von Feueressen durchflammt war. Gewaltige Schläge auf dem Amboß stöhnten widerhallend weit hinaus in die Ferne, im Gewölbe sprühten zischende Stahlschlacken, und aus den Öfen atmete unaufhörliche Glut. Dort in der weiten Kluft schmiedeten das Eisen Tag und Nacht hindurch, mit aufgestülpten Ärmeln, die rußigen Kyklopen, Brontes, Steropes und Pyrakmon, mit unzähligen Knechten. Die einen waren gerade an einem halbfertigen Blitzstrahl, der mit zwölf Zacken geschmiedet wurde, und sie schweißten eben die drei Hagelspitzen, die drei Regenspitzen, die drei Glutspitzen und die drei Sturmwindspitzen daran und mischten Flamme, Donnergeroll und Entsetzen darunter. Die anderen verfertigten dem Ares Räder und Wagen, wieder andere aus Gold und Drachenschuppen den glatten Aigisschild der Pallas mit dem Medusenhaupt.

"Weg mit allem", rief Hephaist, in die Höhle tretend, "auf anderes eure Gedanken gerichtet, ihr Kyklopen! Dem tapfersten Manne sollt ihr jetzt seine Kriegswaffen schmieden; da gilt es Kraft, Kunst und Erfahrung: ans Werk ohne Verzug!" Die Kyklopen kannten schon die kurzangebundene Weise ihres Herrn und machten sich rasch an die Arbeit. Bald floß das Erz und Gold in Bächen, in den Öfen zerschmolz der Stahl. Ein gewaltiger Schild wurde geformt und Scheiben auf Scheiben siebenfach geschmiedet; einige setzten die Blasebälge in Bewegung; andere verkühlten das zischende Erz im Löschtrog. Dann wurde die Masse mit der Zange umgedreht, und die Hämmernden schwangen die Arme im Takt und schlugen auf den Amboß, daß die Höhle schmetterte.

Am anderen Morgen übergab der greise Euander, der nicht selbst mit in den Krieg ziehen konnte, vierhundert arkadische Reiter, dazu den Trost und die Hoffnung seines Alters, seinen eigenen Sohn Pallas, dem scheidenden Gastfreund und beschenkte noch außerdem alle seine Troianer mit Rossen, den Aineias selbst mit dem herrlichsten, welches ein gelbes Löwenfell bedeckte, dessen Klauen vergoldet waren. Dann ergriff Euander die Hand seines abziehenden Sohnes, drückte sie an seine Brust und sprach unter Tränen: "Ach, daß mir Zeus die vergangenen Lebensjahre zurückbrächte und ich wäre, wie ich einst unter Praenestes Mauern war, als ich den König Erulus, der drei Leben von seiner Mutter, der Nymphe, mitbekommen hatte, dreimal in den Orkus hinabschickte, bis er nicht mehr wiederkam! Jetzt kann ich nichts, als dich und unseren Freund den Göttern empfehlen, mögen sie mich erhören, mögen sie dir fröhliche Wiederkehr bereiten! Möge mir keine Schreckensbotschaft je das Ohr verwunden!" Mit diesem Abschied sank der greise Vater zusammen und wurde von den Dienern in die Wohnung zurückgetragen.

Die Reiter aber zogen aus den offenen Toren, mit ihnen Aineias und ein Teil der troianischen Mannschaft, den anderen hatte der Held mit den Schiffen auf dem Strome zurückgehen lassen. Als sie in einem entlegenen Tale zwischen finsteren Tannenwaldungen angekommen waren und, vom langen Zuge ermüdet, ihrer Rosse und der eigenen Leiber pflegten und Aineias an einem kühlenden Waldwasser, abgesondert von der ganzen übrigen Schar, unter einer Eiche sich gelagert, ersah seine Mutter Aphrodite den günstigen Augenblick, senkte sich mit den frisch geschmiedeten Waffen aus dem Gewölk des Äthers hernieder, legte sie dem Sohne zu Füßen, machte sich diesem sichtbar und sprach: "Schau her, Kind, welch ein Geschenk dir die Gunst meines Gemahls bereitet hat. Jetzt darfst du dich nicht mehr besinnen, die stolzesten Laurenter, ja den wilden Rutuler Turnus selbst zum Kampfe herauszufordern." Aineias staunte. Beseligt von der Gegenwart seiner göttlichen Mutter und der großen Ehre, konnte er sich an dem funkelnden Waffengeschmeide gar nicht satt sehen und wendete bald den buschigen Helm, bald das gediegene Schwert, bald den Erzpanzer, der rötlich wie Blut, oder wie die Sonne durch Wolken strahlend, glühte, bald die goldenen Beinschienen und den schlanken Speer in seinen Händen um. Am längsten aber verweilten seine Blicke auf dem kunstreichen, mit unerschöpflicher Bilderpracht in erhabener Arbeit übersäten Schild. Auf diesem hatte der Gott des Feuers eine ganze Reihe von Begebenheiten abgebildet, in welche sich Aineias vergebens mit seiner Beschauung vertiefte, denn es waren die Schicksale und Triumphe der Römer, des Volkes, das erst in später Zukunft dem Stamme seines Sohnes Iulos entsprießen sollte. In der Mitte des Schildes war eine Wölfin abgebildet, der Zwillingsknaben am Euter hingen, zu welchen sie liebkosend ihren Hals zurückbeugte und die sie mit der Zunge beleckte. Jeder Knabe aus unserer Zeit hätte dem Aineias sagen können, daß die Kinder Romulus und Remus hießen. Dann war eine Stadt abgebildet, wo im hohen Theater von kräftigen Männerhänden Frauen als ein Raub davongetragen wurden: es war Rom und der Raub der Sabinerinnen; dann vor Zeus' Altar zwei bewaffnete Herrscher mit Sühnopfern und mit Bundesschalen in der Hand: Romulus und Tatius. Nicht fern davon schleifte ein König mit seinem Viergespann einen Verbrecher zu Tode: Tullus Hostilius den falschen Mettius. Auf einer halb abgebrochenen Brücke stand einäugig ein Verteidiger, und durch den Strom schwamm eine Jungfrau, indes ein zorniger Kriegerkönig am jenseitigen Ufer thronte; es waren Codes, Cloelia und Porsenna der Etrusker. Auf einer hohen Burg mit Palästen und Tempeln stand ein bewaffneter Wächter, und silberne Gänse flatterten durch goldene Hallen, während am Fuße des Berges Barbaren auf der Lauer standen: Manlius und die Gallier. Und so kam eine Geschichte um die andere, bis auf Catilina, Cato, Caesar und Augustus herab. Unkundig aller dieser Dinge freute sich Aineias des Schildes, wie ein Kind sich des Bilderbuches freut, dann kleidete er sich in die himmlischen Waffen, faßte den Schild mit der Linken, und im Gefühl hohen Götterschutzes mischte er sich wieder in den Zug der Seinigen.