DIE EISENBAHN

Als die Eisenbahn ins Land kam, wunderten sich die Leute am meisten darüber, daß sie fahren konnte, ohne daß Tier oder Mensch sie zog. Und weil sie gegen alles Neue und Ungewohnte mißtrauisch waren, so schrieben manche die neue Erfindung dem Teufel zu. Sein Werk sollte es sein, daß die Eisenbahn die Menschen so unerhört schnell dahintrug; aber freilich leistete er seine Dienste nicht umsonst. Es hieß, daß an den größeren Stationen immer einer von den Reisenden fehle der Teufel sollte ihn als Lohn mitgenommen haben.

Nicht überall hatte der Teufelsglaube solche Macht, und so suchten andere wieder natürliche" Erklärungen. Als die Bahn von Halle nach Kottbus gerade eröffnet wurde, fand sich auf einer kleinen Station ein Bauer ein, dem es durchaus nicht in den Kopf wollte, daß die Leute jetzt ohne Pferde fahren könnten. Der Zug kam endlich an, und der Zufall wollte es, daß auf einem der Wagen mehrere Pferde waren. Da rief der Bauer: "Nun seht ihr es doch selbst, daß sie ohne Pferde nicht vorwärtskommen können!"

Die gewaltige Umwälzung, die das neue Verkehrsmittel bewirkte, zeigte sich deutlich in der Volksmeinung. So knüpfte sich manche Weissagung an die Eisenbahn. Ein alter Mann sagte, so heißt es, von der Köln-Mindener Bahn genau voraus, wo sie einmal ihren Weg nehmen würde. Von Westen nach Osten, so sprach er, werde eine große Heerstraße gebaut werden, und auf ihr würden Wagen laufen, ohne mit Pferden bespannt zu sein, und ein fürchterliches Gerassel machen. Andere sollen die Eisenbahn geradezu vorher geschaut haben. "Auf einmal", so lautet die Erzählung, "sehe ich einen Feuerwagen ohne Pferde, der mehrere Wagen nach sich zieht, dahinrasen. Gleich darauf war alles aus." Auch dieses Gesicht soll Wahrheit geworden sein, denn dort, wo die Erscheinung gesehen worden sein soll, wurde später die Eisenbahn Oldenburg-Osnabrück gebaut.

Selbst den nahen Weltuntergang sollte die Eisenbahn ankündigen, oder doch einen völligen Umschwung. "Sobald durchs Brixental der große schwarze Wurm kriecht, kommt eine andere Zeit", hieß es in Tirol.


Quelle: Oskar Ebermann, Sagen der Technik, o. J., S. 113