DER FLIEGENDE ABT

Im Jahre 1507 schickte der König Jakob IV. von Schottland eine Gesandtschaft nach Frankreich. Als sie schon aufgebrochen war, rühmte sich John Damian, der Abt von Tungland, daß er Frankreich noch vor der Ankunft der Gesandten erreichen könnte. Als er beim Wort genommen wurde, befestigte er ein Paar große Flügel, die er vorher in mühseliger Arbeit hergestellt hatte, an seinem Körper, stellte sich auf die steile Mauer des Schlosses Stirling und begann vor Tausenden von Zuschauern das Wagnis seines Fluges. Statt aber stolz in die Lüfte zu segeln, fiel der Abt auf einen Misthaufen und brach sich ein Bein. Nun erhob sich die Streitfrage, warum das Unternehmen mißglückt wäre, es konnte aber darüber keine volle Einigkeit erzielt werden. Damian glaubte seinen Mißerfolg damit erklären zu können, daß in den Flügeln unter den Adlerfedern einige Hühnerfedern gewesen wären, und diese hätten das Bestreben gezeigt, wieder auf den Misthaufen zurückzukehren, wo sie einst von den Hühnern herumgetragen worden seien, statt gleich den Adlerfedern in die Lüfte zu steigen. Nun wäre es ja leicht gewesen, die Richtigkeit dieser Vermutung zu erproben, wenn man die Hühnerfedern gewissenhaft entfernt und dann den Flug wiederholt hätte, indessen scheint es dem kühnen Abt nicht nach einem neuen Versuch gelüstet zu haben.


Quelle: Oskar Ebermann, Sagen der Technik, o. J., S. 61