DIE "RETTUNG ROMS"

Einst fragte der römische Kaiser den Zauberer Virgilius, ob er ihm nicht dazu verhelfen könnte, daß er jederzeit rechtzeitig erführe, wenn ein anderes Land einen Angriff gegen Rom plante, so daß er diese Absicht sofort unterdrücken könnte. Virgilius erwiderte, das wolle er sich wohl zutrauen. Darauf ging er nach dem Kapitol und errichtete dort ein stattliches Werk aus steinernen Standbildern, das man später die "Rettung Roms" nannte. Er stellte nämlich die Schutzgötter aller Länder, die Rom Untertan waren, in einem Kreise auf und gab jedem Standbild eine Glocke in die Hand, und in die Mitte stellte er den Schutzgott Roms. Wenn nun irgendein Land sich gegen Rom empören wollte, so drehte sich der Gott dieser Landschaft mit dem Rücken gegen den Schutzgott Roms und läutete so lange mit der Glocke, die er in der Hand hielt, bis es die römischen Senatoren hörten und sahen, von welchem Lande der Gott war.

Von diesem Wunderwerk hörten die Karthager und beneideten Rom sehr darum, denn sie hatten von den Römern oft harten Druck erfahren. Deshalb hielten sie einen Rat und erdachten eine List, um das Werk zu zerstören. Sie schickten drei vertrauenswürdige Männer mit viel Geld nach der Stadt Rom, wo sie sich als Wahrsager und Traumdeuter ausgaben. In einer dunklen Nacht gingen diese Drei zu einer Höhe in der Stadt und gruben dort einen Topf voll Gold tief in die Erde; sodann begaben sie sich auf die Tiberbrücke und versenkten an einer Stelle ein Fäßchen mit Goldstücken in den Fluß.

Am nächsten Tage gingen die drei Karthager zu den Senatoren und sagten, sie hätten geträumt, daß auf einer Höhe hier in der Stadt ein großer Topf voll Gold vergraben sei; sie bäten um die Erlaubnis, auf ihre eignen Kosten an der Stelle nachgraben zu dürfen. Die Erlaubnis wurde ihnen erteilt, sie gingen hin, gruben das Gold heraus und führten ein lustiges Leben. Einige Zeit danach erschienen sie wieder und trieben das gleiche Spiel mit dem Fäßchen, das sie in den Tiber versenkt hatten. Schließlich kamen die Drei noch einmal zu den Senatoren und sagten: "Ehrwürdige Herrn, wir haben heut nacht geträumt, daß unter dem Grundstein des Kapitals, dort, wo die "Rettung Roms' steht, zwölf Tonnen Gold verborgen liegen; wenn ihr uns gestatten wollt, dort nachzugraben, so soll die Stadt einen großen Vorteil davon haben. Stellt ihr nur die Arbeiter, so wollen wir das übrige anordnen." Die Senatoren glaubten diesen Vorspiegelungen, weil sich ihre Träume zweimal als wahr erwiesen hatten, und schickten die Arbeitsleute Die Traumdeuter ließen darauf den Grund und Boden unterwühlen, auf dem die "Rettung Roms" stand, und als sie glaubten, daß das Fundament genügend untergraben sei, verließen sie die Stadt so heimlich, wie sie einst gekommen waren.

Am nächsten Tage fiel dann das ganze kostbare Werk ein das Virgilius gemacht hatte; es brach in tausend Stücke und ward gänzlich zerstört. Zu spät sahen nun die Senatoren daß sie betrogen worden waren; doch nun war der Schaden nicht wieder gutzumachen, und Rom hat nie wieder die Blüte erreicht, wie vor jener Zeit.


Quelle: Oskar Ebermann, Sagen der Technik, o. J., S. 35