VOM SCHREINER UND DRECHSLER

Ein Schreiner und ein Drechsler sollten ihr Meisterstück machen. Da machte der Schreiner einen Fisch, der konnte von sich selbst schwimmen, der Drechsler Flügel, mit denen man fliegen konnte. Und alle sagten, daß dem Schreiner sein Kunststück besser gelungen wäre. Der Drechsler nahm also seine Flügel, tat sie an und flog fort aus dem Land von Morgen bis zu Abend in einem fort.

In dem Land war ein junger Prinz, der sah ihn fliegen und bat ihn, er möchte ihm seine paar Flügel leihen, er wollt's ihm gut lohnen. Der Prinz bekam also die Flügel und flog, bis er in ein anderes Reich kam, da war ein Turm mit vielen Lichtern erleuchtet. Dabei senkte er sich nieder zur Erde, fragte nach der Ursache und hörte, daß hier die allerschönste Prinzessin der Welt wohnte. Nun wurde er höchst neugierig, und als es Abend wurde, flog er in ein offenes Fenster hinein. Wie sie aber nicht lange Zeit beisammen waren, wurde die Sache verraten, und der Prinz samt der Prinzessin sollten auf dem Scheiterhaufen sterben.

Der Prinz nahm indessen seine Flügel mit hinauf, und als die Flamme schon zu ihnen heraufschlug, band er sich die Flügel um und entfloh mit der Prinzessin bis in sein Vaterland. Da ließ er sich nieder, und weil jedermann über seine Abwesenheit betrübt war, so gab er sich zu erkennen und wurde zum König erwählt.

Nach einiger Zeit aber ließ der Vater der entführten Prinzessin bekanntmachen, daß derjenige das halbe Königreich bekommen sollte, der ihm seine Tochter wiederbringe. Dies erfuhr der Prinz, rüstete ein Heer aus und brachte die Prinzessin selbst ihrem Vater zu, den er zwang, ihm sein Versprechen zu erfüllen.


Quelle: Oskar Ebermann, Sagen der Technik, o. J.