Die Schlacht bei Marignano

Da die Eidgenossen allezeit ein kriegsbereites, rauflustiges und unternehmendes Volk waren, genügte es ihnen nicht, zu Hause auf ihren Alpenweiden das Vieh zu hirten und zu hüten oder in den Wäldern dem Wolf und Bären nachzustellen oder in den Tälern das Feld zu bebauen und in den Städten und Dörfern ruhsam dem Gewerbe und Handwerk obzuliegen. Sie zogen aus eigenen Stücken in fremde Länder und bekämpften die fremden Völker, wobei sie meistens gut davonkamen und viel Beute heimbrachten. Besonders gern aber machten sie sich über den stiebenden Steg ins weltverlorene Urserntal hinauf und von dort über das Gotthardgebirge ins Land Italien hinunter.

Und so viele Feldzüge sie ins Welschland taten, fast immer kehrten sie siegreich und beutebeladen heim. Aber die gewonnene Beute, das Gold der Könige und Fürsten, denen sie kriegen halfen, und eine unbändige Kampflust trieben die Eidgenossen nach und nach mehr aus der Heimat und in gefährlichere Kriegsabenteuer, als ihrem Lande gut tat. Sie vernachlässigten die Heimat, trübten ihren schönen Frieden und machten, daß Frauen und Kinder zu Hause immer in Angst und Kummer leben mußten. Vergeblich erhoben sich warnende Stimmen im eigenen Lande gegen diese fortwährenden kriegerischen Auszüge. Und da schickte ihnen Gott eine Niederlage, nach der sie nicht mehr völkerweise, sondern mehr in einzelnen Haufen in fremde Kriegsdienste zogen. Die Eidgenossen benahmen sich aber in dieser Schlacht so heldenhaft, daß sie ihnen fast höheren Ruhm eintrug als ein großer Sieg. Es war am 13. Herbstmonat des Jahres 1515, kurze Zeit nach der Schlacht bei Novara, in der die Eidgenossen einen Sieg erfochten hatten, der die Welt mit Bewunderung und den französischen König mit Furcht erfüllte, da zogen sie mit Trommeln und Pfeifen und Hörnerschall zu den Toren Mailands hinaus, dem feindlichen Heere entgegen. Es waren ihrer wohl an die 24 000 Mann. Sie brauchten aber nicht weit zu ziehen. Gleich vor der Stadt erwartete sie das viel größere, mit furchtbarem Geschütz ausgerüstete Heer des französischen Königs Franz I. Jetzt teilten die Eidgenossen ihr Heer in drei gewaltige Haufen. Bevor sie sich aber an den Feind machten, knieten alle nieder zum Gebet. Da stand der Führer der Vorhut, ein Zuger, auf, nahm drei Erdschollen, warf sie über die Köpfe der Krieger hin und rief mit feierlicher Stimme: "Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Vergesset eure Heimat, denn wenn wir nicht siegen, soll hier unser Kirchhof sein. Drum unverzagt! Kämpft würdig der Väter! Gott mit uns! Vorwärts!"

Jetzt rückten sie gegen den Feind vor, warfen die welschen Vorposten, und dann ging der Schlachttanz an, zu dem die französischen Trompeten und die eidgenössischen Heerhörner eine gar schauerliche Musik spielten. Die Franzosen hatten eine gar gute Stellung, und wie nun die Schweizer gegen sie anrückten, donnerten ihre Geschütze Tod und Verderben in ihre wohlgeordneten Reihen. Aber sie taten keinen Wank, rückten immerzu vor. Und nun stürmte eine Schar junger, auserlesener Schweizer, die alle weiße Federn auf den Hüten trugen, voraus, drang zuerst über den breiten und tiefen Graben, den die Feinde gezogen hatten, und nahm in furchtbarem Nahkampf die ersten welschen Geschütze. Jetzt kam aber Leben ins französische Heer, das Mitteltreffen rückte vor mit seiner Reiterei und mit den berühmten schwarzen Banden. Nun hatten die Schweizer einen bösen Stand. Ein fürchterlicher Hau, eine entsetzliche Schlächterei ging an, hin und her, vor und zurück gingen die Wogen der blutigen Völkerschlacht, und bis nach Mailand drang der Lärm des fürchterlichen Kampfes. Endlich ging die Sonne mit blutigem Schein unter.

Aber die Schlacht stand nicht still. Beim aufgehenden Mond wurde weitergekämpft. Die größten Helden von beiden Seiten gerieten aneinander, und selbst den französischen König Franz sah man in seinem blauen Mantel überall, wo es am bösesten herging. Mann gegen Mann zerfleischten und zerfetzten sich die Kämpfer. Schon sahen die Eidgenossen die verlassenen feindlichen Geschütze vor sich. Da ging der Mond unter, und es wurde plötzlich stockdunkle Nacht, und todmüde zogen sich beide Heere etwas zurück.

Doch die Eidgenossen waren guten Muts. Sie hatten den Feind trotz seiner Übermacht und trotz seiner gefährlichsten Waffe, der furchtbaren Geschütze, zurückgedrängt und hofften so sicher auf den Sieg, daß sie schon Eilboten mit der Siegesbotschaft in die Heimat abschickten. Aber ihre Lage war übel. Sie waren durchnäßt, hatten Hunger und froren in der kalten Nacht. Wie nun die Sonne am Morgen wieder blutrot aufging, brüllte der Stier von Uri mächtig über die weite Ebene und rief die Eidgenossen zum Kampfe.

In drei Haufen rückten sie wieder gegen den Feind, die Urner und Zürcher im Mitteltreffen zuvorderst, und warfen die heranstürmenden schwarzen Banden zurück. Doch des Königs Reiterei, vom König selbst geführt, vermochten sie nicht zu werfen, obschon sie dreimal den Angriff, erneuerten. Dazu donnerten wieder die feindlichen Geschütze, deren sich die Franzosen in der Nacht heimlich wieder bemächtigt hatten, gegen sie los, ihnen die schlimmsten Verluste beibringend.

Da sanken die größten Helden der Eidgenossen in dem schrecklichen Ringen. Es sanken der Landammann von Uri, der alte, fünfundsiebzigjährige Landammann von Schwyz, der mit drei Pfeilen in der Brust sein Volk noch zum Kampfe anfeuerte. Es fielen die Führer von Graubünden und viel, viel andere Helden. Also wurde das Mitteltreffen der Eidgenossen allmählich zurückgedrängt.

Aber an beiden Seiten, auf dem rechten und linken Flügel, drangen die Schweizer wieder vor und warfen die Welschen zurück. Schon war es Mittag, und die Eidgenossen holten zu einem letzten gewaltigen Vorstoß in der Mitte aus, um den Feind ins Herz zu treffen.

Da ertönte auf einmal der Ruf: "San Marco, San Marco!" Und jetzt rückte im Sturmschritt das venetianische Heer den Franzosen zu Hilfe. Gleichzeitig ließen die Franzosen die Dämme des Lambroflusses durchbrechen, also daß das Wasser auf die Eidgenossen zuströmte, wodurch sie verhindert wurden vorzurücken, denn nun standen sie bis an die Knie im Wasser. Nun mußten sie sich, da jede Aussicht auf Sieg geschwunden war, zum Rückzug nach Mailand entschließen.

Schweren Herzens taten sie sich nach und nach zusammen, nahmen die Verwundeten auf die Schultern, schafften die eroberten Panner und Geschütze in die Mitte und rückten im Viereck, aufrecht und redlich, nach der Stadt Mailand zurück. Bewundernd sah ihnen der französische König von der Anhöhe aus nach.

Aber die Feinde griffen die Eidgenossen auf ihrem Rückzuge unablässig von allen Seiten an, doch wurden alle ihre Attacken abgeschlagen. Wie nun die Schweizer an den großen Graben kamen, über den sie tags vorher so siegessicher gestürmt waren, mußten sie haltmachen, um die Geschütze, die Verwundeten und alles schwere Kriegswerkzeug hinüberzuschaffen. Das benutzten die Feinde. Sie warfen sich nochmals mit aller Macht auf die arg bedrängten Eidgenossen, allen voran die feindliche Reiterei. Da mußten die Schweizer noch eine schwere Blutarbeit verrichten, um sich Luft zu machen und den Übergang über den Graben zu sichern. Manch ein Held sank ihnen hier noch zusammen. Dem Basler Fähnrich riß eine Kanonenkugel beide Beine weg. Er rutschte auf dem Bauche zurück und reichte sterbend das Panner seiner Stadt den Freunden. Der Fähnrich von Appenzell riß, tödlich verwundet, die Fahne von der Stange und verbarg sie, zusammensinkend, im Panzerhemd. Die Fahne von Unterwalden ging in die Feinde, aber ein schweizerischer Feldkaplan hieb sich durch die Feinde nach ihr und entriß sie ihnen wieder. Die Anführer der Zürcher und Berner fielen. Gewaltiges, Unsägliches leisteten die arg bedrängten Eidgenossen. Ein Bündner, der Simson geheißen wegen seiner Kraft, erschlug allein siebzehn auf ihn eindringende Welsche. Also wurden auf dem Rückzuge unzählige Heldentaten verrichtet. Noch einmal hörten die Eidgenossen das furchtbare Brummen des Uristiers, dann aber verstummte er für immer, das Horn ging in dem blutigen Hau verloren.

Endlich kamen die Schweizer blutüberflossen, mit zerfetzten Fahnen und Gliedern über den bösen Graben. Jetzt blieben die Welschen, ermüdet und froh, daß sie von dem grausigen Kampfe ausruhen durften, zurück und ließen die Eidgenossen unbehelligt ihren bewundernswerten Rückzug bis in die Stadt Mailand fortsetzen, wo sie gute Aufnahme fanden.

Es war eine gewaltige Schlacht, also daß der alte Feldherr der Welschen, Trivulzio, sagte, diese Schlacht sei eine Riesenschlacht gewesen. Er habe achtzehn Schlachten durchgemacht, aber verglichen mit der Schlacht von Marignano seien alle nur Kinderspiele gewesen.

Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bettina Stelzhammer, Jänner 2005.