Uli Rotach

Ob dem Schwäbischen Meer, dem Bodensee, liegt ums Säntisgebirge herum das grüne Appenzellerland. Dort wohnt ein gewecktes Völklein, eben die Appenzeller. Sie sind bekannt wegen ihrer Schalkhaftigkeit, ihrer altmodischen, schönen Tracht und wegen ihrer hübschen Frauen.

Zur Zeit ihrer Befreiungskriege, im fünfzehnten Jahrhundert, verrichteten sie gar viele bemerkenswerte Taten. Es wäre da viel zu erzählen, wollte man alle ihre wilden Streifzüge, die bis ins Deutsche Reich hinaus gingen, und alle ihre Kämpfe, die sie im eigenen Land mit ihren Feinden zu bestehen hatten, berichten.

Ich will aber nur von einer Schlacht erzählen, von der Schlacht am Stoß [Stoss].

Im Jahr 1405 rückte der österreichische Herzog Friedrich mit großer Macht ins Appenzellerländchen hinauf, um die freiheitslustigen Älpler einmal gründlich zu bodigen und zu zähmen. Bei regnerischem, unlustigem Wetter erstieg des Herzogs Heer die schlüpfrigen, vom Regen aufgeweichten Halden und Abhänge am Stoß. Da versperrte ihm eine künstliche Talsperre, eine Letzimauer, den Aufgang. Doch ließen sich dadurch die Österreicher nicht aufhalten. Sie durchbrachen die Mauer, und wie sie dahinter niemand vorfanden, jubelten sie schon siegesfroh, denn sie dachten, die Appenzeller Hirten hätten sich vor ihrer Übermacht geflüchtet. Aber als sie nun alle über die Mauer waren und frohgemut bergan weiter wollten, rannten auf einmal die Appenzeller mit ihren Freunden aus Schwyz und Glarus von den Anhöhen hinunter in die überraschten Österreicher hinein, und es begann ein böser Kampf. Weil nun die österreichischen Ritter vom Kopf bis zum Fuß geharnischt waren, fanden sie auf dem schlüpfrigen Boden keinen rechten Halt, während die Appenzeller in ihren leichten Hirtenhemden und barfuß sich gar weidlich zu tummeln vermochten. Zudem waren den Armbrustschützen des Herzogs die Sehnen vom Regen schlaff geworden. Dennoch hielt das wohlbewehrte Heer wacker stand, und kein Mensch konnte wissen, wie der Ausgang des Kampfes noch sein würde.

Die immer mehr bedrängten Appenzeller mußten sich wehren wie die Löwen. Am heldenhaftesten aber wehrte sich ein Älpler namens Uli Rotach. Den hatten ihrer zwölf schwerbewaffnete Österreicher nach und nach an die Wand eines Heustadels zurückgedrängt. Da blieb er aber stehen und ließ seine Hellebarde also um die Köpfe der zwölf geharnischten Angreifer pfeifen, daß ihnen die Helme abflogen wie die Vogelnester im Föhnsturm. Immer und immer wieder drangen sie von allen Seiten auf ihn ein. Doch der riesige und herzhafte Älpler wußte sie allezeit mit fürchterlichen Streichen von sich abzuhalten. Schon lagen ihrer fünfe im Blute, und wer weiß, wie's den andern noch ergangen wäre, da fiel einem ein, den Stadel anzuzünden. Er warf einen Feuerbrand ins Heu, und sogleich schlugen die Flammen aus Dach und Wänden heraus.

Jetzt hatte Uli Rotach den Rücken nicht mehr gedeckt. Er mußte sich, um nicht zu verbrennen, vom Gaden wegmachen, umringt von seinen rasenden Feinden wie ein edles Pferd von einem Hornissenschwarm. Aber er ließ seine Hellebarde also um sich wirbeln, daß bald wieder einem Feind die Blechhaube samt dem Kopf ins Gras flog. Schon lange stritt er mit nackten Armen, denn das Hirtenhemd hing ihm in Fetzen am Leib. Da gelang es einem seiner Gegner, ihn von hinten mit der Lanze also bös in den Rücken zu treffen, daß er in die Knie sank. Aber auch so hielt er die Feinde noch eine Weile im Schach, obwohl er die Augen voll Blut hatte und keinen Stich mehr sah. Endlich aber brach er zusammen und starb als ein Held.

Trotz solchen und andern rühmenswerten Taten verloren die Appenzeller nach und nach an Boden, denn immer neue Scharen der in Eisen starrenden nachrückenden Fußknechte führten die erschöpften Ritter ins Treffen.

Schon wollten die Hirten verzagen und sich vor der Übermacht zurückziehen, als auf einmal eine neue Schar Appenzeller Kämpfer auf der Anhöhe des Stoßes mit wildem Kriegsgeschrei auftauchte. Mit Schrecken sahen das der Herzog und seine Ritter und mit Verwunderung die kämpfenden Appenzeller, denn sie konnten sich nicht vorstellen, woher ihnen noch Hilfe kommen sollte, da sie ja alle in den Kampf gezogen waren. Aber als nun der hilfreiche Zuzug, wild aufschreiend, von der Anhöhe herabstürzte und die Appenzeller mit neuem Mute sich auf die überraschten Österreicher warfen, fing des Herzogs Fußvolk, von Schrecken ergriffen, zu weichen an, und bevor es die Ritter zu verhindern vermochten, löste sich ihre Heerordnung, und alles jagte in wilder Flucht den Berg hinunter. Da mußten auch sie nach, denn die Appenzeller waren fest an ihnen, und Ritter und Roß kratzten sich an ihrem Stechwerkzeug ärger als an einem hundertjährigen Dornenhag, also daß sie alle miteinander auf und draus gingen, wobei ihnen die Appenzeller Hirten mit ihren Knütteln gar rasche Beine zu machen verstanden.

Wie nun die Schlacht aus und für die Appenzeller gar glorreich beendet war, denn die Abhänge troffen von österreichischem Blute, sammelten sie sich und schauten sich voll brennender Neugier nach dem hilfreichen Zuzug um, der ihnen so höchstzeitig geworden war. Wie erstaunten die Hirten aber, als sie in dem heranstürmenden Hilfsvolke ihre eigenen Frauen und Töchter erkannten, die sich wie Männer mit Hirtenhemden bekleidet hatten. Sie schlossen sie jauchzend an ihre Brust und dankten Gott, der ihnen in ihrem Frauengeschlechte eine so herzhafte Landeskraft gegeben hatte.

Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bettina Stelzhammer, Jänner 2005.