Aus dem alten Zürichkrieg

Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts entzweiten sich die Zürcher um einer großen Erbschaft willen mit den Schwyzern und ihren Eidgenossen. Es war ein langwieriger Bürgerkrieg, in dem die Schwyzer unter ihrem tatkräftigen, aber eisernen Landammann Ital Reding viel Ruhm und Land erwarben. Also taten sich da die Zürcher und ihre früheren Eidgenossen manch bitteres Leid an, das sie später reute.

Einstmals zogen die Eidgenossen mit ihren Pannern vom Zimmerberge her gegen die Stadt Zürich, um sie zu stürmen. Die Zürcher erwarteten sie jenseits des Sihlflüßleins hinter einem dichten Grünhag. Sie waren guter Dinge, ließen sich den Wein in Zubern, Gelten und Wassertansen aus der Stadt zutragen und fürchteten sich nicht.

Aber auf einmal brachen die Schwyzer und Glarner mit wildem Geschrei und Haarusrufen durch den Grünhag und fielen über die Zürcher her, die sich jedoch mannhaft zur Wehr setzten. Als aber auch die übrigen Haufen der Eidgenossen nachdrückten, fanden sie's geratener, sich hinter die Mauern der Stadt in Sicherheit zu bringen. Sie räumten also flink das Feld und rannten der Stadt zu, hinter ihnen drein, wie das Donnerwetter, die Eidgenossen. Als fast alle Zürcher über den schmalen Steg waren, der über den Sihlfluß nach der Stadt ging, stellte sich als ihr Letzter ihr Bürgermeister, der riesenhafte Rudolf Stüssi, auf den Steg. Dort wehrte er mit seiner Mordaxt den ganzen Gewalthaufen der nachdrängenden Eidgenossen also heldenmäßig ab, daß nicht ein einziger über den Steg zu kommen vermochte, bis der größte Teil der flüchtigen Zürcher die Stadt erreicht hatte. Erst dann gelang es einigen Eidgenossen, die sich heimlich unter den Steg machten, den Helden an den Beinen herunterzureißen und zu erstechen.

Danach jagten die Eidgenossen über Kopf und Hals den fliehenden Zürchern nach, und zwar so eifrig, daß einige von ihnen als erste mit den letzten flüchtigen Zürchern zugleich durchs Rennwegtor in die Stadt gelangten. Sie wären wohl alle hineingekommen und hätten die Stadt gewonnen, wäre nicht eine besonnene Zürcherin auf den Turm geeilt. Diese ließ das schwere Fallgatter hinuntersausen. Da mußten die heranstürmenden Eidgenossen draußen bleiben.

Einige von ihnen aber, die in ihrer Kampfwut doch in die Stadt gekommen waren, wurden vor den Augen der vor dem Tore stehenden Eidgenossen niedergemacht. Darunter war auch der Landschreiber Küng von Glarus. Bevor er fiel, steckte er das Fähnlein der Stadt Zürich, das er erobert hatte, durch das Fallgatter seinen Landsleuten zu und schlug dann tapfer um sich, bis er als ein Held der Übermacht erlag.

Als nun der unglückselige Bürgerkrieg zwischen den Zürchern und ihren früheren Eidgenossen, der manche tapfere Tat, aber auch manche Ruchlosigkeit gesehen hatte, endlich vorüber war, wurden einzig und allein die "Böcke" von Zürich vom Frieden ausgenommen. Die Stadt, die genugsam erschöpft war, konnte es nicht wenden. Diese Böcke oder Schildner zum Schneggen, wie man die kühne, abenteuerlustige Gesellschaft der besten Bürger in Zürich nannte, hatten den Eidgenossen während des Krieges besonders viel Schaden und Abbruch getan und ihnen viel zuleid gewerkt mit meisterlosen Streichen und Streifzügen. Deshalb waren diese auf die Böcke sehr erzürnt, nahmen sie vom Frieden aus und wollten auch die Zürcher zwingen, ihnen die Stadt zu verbieten.

Doch die Böcke von Zürich nahmen das zuerst nicht so schwer auf. Sie verließen die Stadt freiwillig, um ihre Mitbürger nicht in Unannehmlichkeiten zu bringen, und setzten sich über dem Rhein auf schwäbischem Boden fest, wo sie das Schloß Hohenkrähen gekauft hatten.

Aber bald überkam sie dort die Langeweile und, was noch viel schlimmer war, das Heimweh nach ihrer schönen Stadt Zürich im Herzen des Schweizerlandes, in deren Fenstern sich der blaue Bergsee und die fernen Schneeberge spiegeln. Sie rieten hin und rieten her, wie sie wohl wieder in die Stadt kommen möchten.

Da besuchten etliche von ihnen eines Tages den Landammann Fries von Uri, der ihnen als ein gar guter Herr bekannt war. Den fragten sie um Rat. Nun riet ihnen der Urner Landammann, sie sollten einen der angesehensten Eidgenossen abfangen, ihn auf ihr Schloß Hohenkrähen führen und ihn nicht losgeben, bis man ihnen seitens der Eidgenossen eidlich die Rückkehr in die Stadt Zürich erlaube.

Die schalkhaften Gesellen bedankten sich für den Rat und sagten, sie hielten das wahrhaftig auch für den kürzesten Weg.

Als nun der gute Landammann Fries von Uri eines schönen Tages über den See zu Markt nach Zürich fahren wollte, schossen plötzlich zwei Weidlinge an das Marktschiff heran. Daraus hervor sprangen, wohlbewaffnet, einige der Böcke von Hohenkrähen und nahmen den überraschten Urner Landammann gefangen.

Da lachte er aber laut auf und sagte: "Ei, ei, ihr Gesellen, euch ist gut raten."

Willig ließ er sich von ihnen auf das Schloß Hohenkrähen ins Schwabenland führen, wo sie ihn in guter Pflege hielten. Trotz aller Drohungen der Eidgenossen gaben sie ihn nicht frei, bis man ihnen, guter Dinge oder nicht, die Heimkehr nach Zürich erlauben mußte.

Da zogen sie denn auch bald danach, den Urner Landammann in der Mitte, unter dem Jubel der Bevölkerung in flottem Aufzuge ein.

Quelle: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bettina Stelzhammer, Jänner 2005.