GALLUS IM HARMERSBACHER TAL

Vor alters, als das Harmersbacher Tal noch eine Wildnis war, wohnte darin als Einsiedler der heilige Gallus. Seine Hütte stand an einem Brunnen und einem Dornbusch, aus dem manchmal ein wunderschöner Gesang ertönte.

Eines Tages kam zu dem Heiligen ein Bär und hielt ihm seine Tatze hin, worin ein großer Dorn stak. Gallus zog diesen heraus, und nun führte ihn das dankbare Tier zu einem Felsen, wo er eine Menge wilden Honig fand; auch wich es nicht mehr von seiner Seite, trug ihm Holz herbei und verrichtete sonstige Dienste.

Nachdem der Andrang der Leute zu dem Heiligen sehr groß geworden war, zog er sich eine Stunde weiter in das Tal zurück, an den Ort, wo jetzt die ihm gewidmete Pfarrkirche von Oberharmersbach steht. Aber auch hier entging er dem Zulauf nicht, weshalb er mit seinem Bären sich fort in die Schweiz begab, wo er nachmals das Kloster Sankt Gallen gründete. Ungeachtet seiner Entfernung pilgerten die Leute noch immer in das Tal zu seinen Hütten, und als auch sie den Gesang aus dem Dornbusch hörten, suchten sie nach und fanden ein hölzernes Standbild, welches die Muttergottes mit dem Jesuskind auf dem linken Arm vorstellte. Sie erbauten dort eine Kapelle, und nachher ließ sich der Gesang nicht wieder hören. Statt der Kapelle steht jetzt auf dem Platz die Wallfahrtskirche Maria zur Kette, und außen über ihrer Haupttür das Standbild. Bei ihm haben schon manche Hilfe gefunden, und auch durch das Wasser des Brunnens werden verschiedene Leibesübel, besonders Augenleiden, vertrieben.


Quelle: Bernhard Baader, Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Karlsruhe 1851. Nr. 102, S. 89f.