160. Das goldene Kegelspiel

Ein Knecht Friedrich verliebte sich in die Tochter des Burgherrn. Letzterer trat einer Verbindung heftig entgegen. Allein der entschlossene Jüngling flüchtete sich heimlich mit seiner Geliebten. In Sargans hoffte er zum Ziele seiner Wünsche zu gelangen. Der ergrimmte Burgherr schickte jedoch seine andern Knechte nach. Sie ereilten die Entflohenen am Schollberg, und beim Zusammentreffen tötete Friedlich im Augenblicke der höchsten Erregung einen der Knechte, seinen Freund Hans. Sobald er dies erkannte, lähmte der Schreck seine Glieder, und widerstandslos ließ er sich vor den strengen Burgherrn führen. Dieser verkündete ihm den Tod. Friedrich vernahm das Urteil mit guter Fassung und bat nicht um sein Leben. Nur die Bitte noch möge man ihm, dem Unglücklichen, gestatten: mit der goldenen Kugel in einem einzigen Wurfe den König im goldenen Kegelspiele umzuwerfen. Sein Wunsch wurde unbedenklich gewährt. Wie die Kegel standen, zielte Friedrich und warf den König um, diesen ganz allein. Dann erklärte er dem finstern Herrn auf dessen Befehl die Bedeutung des Vorganges, Unter dem umgefallenen Könige sei der Burgherr zu verstehen, der vor dem erwachten Freiheitsdrange des Volkes bald stürzen werde, und die acht stehen gebliebenen Kegel bedeuten seine sieghaften Untertanen.

Unterdessen hatte sich vor dem Tore das empörte Volk gesammelt, und wie Friedrichs letztes Wort verhallte, war jenes in den Schloßhof eingedrungen. Burgherr und Kegelspiel wurden gleich in den tiefen Brunnen geworfen, woselbst der hohe Schutt der gebrochenen Burg sie jetzt noch deckt.

Friedrich aber war davongeeilt, seine Mariot zu suchen. Er fand sie im Garten und fiel im Überdrang der Gefühle auf die Knie. Im selben Augenblicke jedoch traf ihn von hinten der tödliche Streich eines nachgeeilten wilden Schloßgesellen.
U. Adank


Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 160, S. 75f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, Mai 2005.