130. Wie man in der Not beten lernt

Bei einem Hochgemuter auf der Alp hatten sich zwei Räfiser, der Baba-Hans und der lang Badist, in eine Hütte am Buchserberg geflüchtet; eng zusammengeschmiegt saßen sie zitternd hinterm Tischlein; lange Zeit kam kein Ton von ihren Lippen. Prasselnd fielen schwere Regentropfen aufs Hüttendach; Blitz auf Blitz folgte; der Sturmwind drohte die Hütte wegzublasen; das Wetter tobte immer ärger.

Endlich löste sich die Zunge des langen Badist; von, Himmel erhoffte er Hilfe. "Du, Baba-Hans, 's Wüetihö tefflat (teufelt) über is her," sagte er; "bet, bet, Baba-Hans, as tuat strohlig!" Der Baba-Hans war aber nie ein eifriger Beter gewesen. Was sollte er beten? Aus seiner Jugendzeit her kannte er noch das Tischgebet: "Spis (speise) Gott, gsegn (segne) Gott, tröast (tröste) Gott, erhalt Gott üs un alli arma Chin, dia uf der Erda sin, Amen." Dieses beteten beide, bis das Wüetihö vorübergegangen war.


Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 130, S. 61f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, Mai 2005.