Der Rosengarten von St. Jakob



Heldenmütig hatte sich die kleine Schar der Eidgenossen gegen die Übermacht der Armagnaken geschlagen und beinahe aufgerieben. Schon ging es gegen die Vesperzeit. Die Armangnaken wollten keinen Sturm mehr unternehmen, sondern einen Versuch machen, die Überlebenden zur Übergabe zu bewegen. Da sie der Sprache der Eidgenossen nicht kundig waren, baten sie den österreichischen Ritter Burkhard Münch, mit diesen Leuten für sie zu reden. Von einem Herold begleitet, ritt er vor den Garten und öffnete sein Visier, um mit den Eidgenossen, die er tödlich haßte, zu reden. Schon lange hatte er einen Tag herbeigewünscht, wie diesen: einen Tag der Rache für all das Übel, das die Eidgenossen seit Menschengedenken dem Hause Österreich und dem Adel schon zugefügt hatten. Als er nun in den Garten hineinsah, wo die Verwundeten und Sterbenden lagen, da rief er schadenfroh: Ich sehe in einen Rosengarten. Doch kaum war das Wort gefallen, da sauste aus dem Garten ein Stein, und mit zerschmettertem Gesicht sank Burkhard Münch vom Pferde.
Alles hatten die Armagnaken eher erwartet als solch ein Ende der Unterredung. Sie wußten nicht, was ihr Vertrauensmann gesprochen hatte, aber sie sahen die blutige Antwort, die ihm geworden. Das  konnte nicht ungerächt bleiben. Zornig führten die Hauptleute ihre Reisigen zu neuem Sturm.
C. A. Bernoulli


Quelle: Schweizerland. Lese- und Arbeitsbuch für das sechste Schuljahr. Bearb. von der Kantonalen Lehrmittelkommission II. Frauenfeld 1949, 24f, Emailzusendung von Burghart Häfele am 3. März 2006