486. Salve Regina, 1388.

Der Ritter Hans von Wilberg zog mit aus zur Schlacht bei Näfels, Seine einzige Tochter Gutta bat ihn mit schlimmen Ahnungen, er solle nur diesmal dem blutigen Ringen fernbleiben. Doch es geschah vergeblich; denn die Wilberger kannten keine Furcht.

Am folgenden Abend aber, als Gutta zur Himmelskönigin betete, erklang das Glöcklein von selbst; das Schloßtor sprang auf, und der Ritter sprengte herein als ein Toter mit klaffender Wunde. Er segnete seine Tochter und verschwand wieder, wie er gekommen war. Mit ihm war das Geschlecht der Wilberger erloschen.
Gutta nun vermachte ihr Besitztum der Kirche von Wil und bat, daß man jeden Abend um sechs Uhr die Glocke läute und ein Salve Regina singe, zu dem sie sich selbst auch einfand, bis sie einst, wieder genau zu dieser Stunde, in die Schar der Seligen aufgenommen wurde.

Die Burg selbst wurde von den Appenzellern (1408) gebrochen, und vergebens sucht man heute ihre Spuren.
Der Küster war angewiesen, die Glocke zu läuten, bis das fromme Fräulein die Kirche betrat; dann schwieg das Geläute, und der Gesang begann. Aber eines Abends tönte die Glocke schon ziemlich lange über die gewohnte Zeit, und das Fräulein erschien immer noch nicht und erschien niemals mehr. Es lag tot in der verlassenen Burg der Väter, und das Geschlecht der Wilberger war erloschen. Wie die sechste Stunde schlug, war der Feierabend ihres Lebens sanft herangeschritten und die Salveglucke ihr Sterbeglöcklein geworden. Die Erzählung der alten Dienerin, das Marienbild ob dem Haupte der Sterbenden habe ein mildes Licht auf das brechende Auge ergossen, fand allgemein willigen Glauben.

Die Bronschhofer maßten sich die Gegend des Schlosses widerrechtlich als Allmende an; aber Abt Ulrich führte den Weinbau ein und behauptete das Land im Rechtsstreite gegenüber den Bronschhofern. Wahrscheinlich mußten die Steine der Burg zum Gemäuer der Torkelhütten dienen; 1505 sah man noch einige Trümmer „an dem Wege, da man gat nach Bronschhofen," dem jetzigen Wege durch die Reben. Diese Trümmer waren die Burg Wilberg. Jetzt sind auch diese verschwunden. Wer über ihnen wächst ein Wein, der Feuer und Kampslust jener Ritter geerbt zu haben scheint und dem Namen der Wilberger alle Ehre macht.      
C. G. I. Sailer, Chronik.

Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 486, S. 285
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