411. Das Spinnfräuli.    

                       

Im Walde bei Ermenswil, im Kühlenstich, sieht man noch spärliche Überreste einer zerfallenen Sennhütte. Dort treibt nachts das Spinnfräuli sein Wesen.

Ein Ermenswiler war in Eschenbach in gemütlicher Gesellschaft gewesen und kehrte erst um Mitternacht nach Hause zurück. Er wollte das Spinnfräuli sehen. Als er zur Stelle kam, hörte er wirklich das Schnurren des Spinnrädchens. Er rief: "Wenn das Spinnfräuli da ist, soll es nur kommen!" Da trat ihm ein ganz kleines, weißgekleidetes Weiblein mit einem Spinnrad entgegen, setzte sich ihm rasch auf den Kopf und spann dort weiter. Der Geängstigte lief so schnell er konnte aus dem Walde hinaus. Am Rand des Gehölzes verließ ihn der Unhold, Schweißtriefend kam der Vorwitzige an die Schwelle seines Hauses. Seither hat niemand mehr das Spinnfräuli gesehen; denn der Ort wird um die Mitternachtstunde scheu gemieden.
K. Schnyder.

Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 411, S. 237
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