298. Das verwünschte Schloss

Auf einem Hügel stand ein zerfallenes Schloß, das nicht mehr bewohnt war. Man wußte aber, daß noch große Schätze darinnen lagen, die man hätte heben können, was allerdings schwer zu machen war; denn viele versuchten es, kehrten aber nicht mehr unter die Lebenden zurück.

Nun kam einmal ein alter Krieger daher, der sich getraute, es besser zu machen. Mit der untergehenden Sonne schritt er durch das alte Schlosstor und wartete die richtige Stunde ab. Um Mitternacht traten einige finstere Gestalten in den Rittersaal ein und setzten sich an den Tisch, wo sie zechten und spielten. Der neue Ankömmling wurde zum Mithalten eingeladen, was ihm beliebte.

Als sie lange gezecht und gespielt hatten, standen sie auf und gingen nach dem tiefen Keller. "Komm mit!" sagten sie. Er folgte ihnen. Nun holten sie ihre verborgenen Schätze hervor, einen großen Kessel voll blinkender Silberstücke. Diese wollten sie die lange Stiege hinausschaffen, was viel Mühe verursachte. Der Soldat sollte auch helfen, aber er weigerte sich: "Das fällt mir nicht ein!" Auf der Mitte der Treppe taten sie, als müßten sie erliegen. Wieder sollte er helfen. Er sprach: "Hättet er 's nit abälua, so müeßted er 's nit ufeträge!" Bald hieß es: "Du hast mit üs gessä-n und trunke; du muascht is au helfä!" Er höhnte: "Bah! Jetz mögend er 's kand (leicht); es ist nüme wit!" Endlich war man über die oberste Stufe weg. Nun wurden sie freundlich und sprachen: "Wohl dir, daß du uns nicht geholfen hast; du wärest vom Kessel erdrückt worden. Nun aber sind wir erlöst, und der Schatz gehört dir an!" Sie waren verschwunden, und er stand mit dem vielen Gelde allein.

Am Morgen kamen die Leute, um nach ihm zu sehen. Sie freuten sich seines Erfolges. Der Soldat baute dann das Schloß wieder auf; denn er sagte: "Jetzt beginnt der alte "Bartli" (Bartholomäus) erst ein lustiges Leben!" Wirklich lebte er noch lange herrlich und in Freuden.
A. Sprenger.

Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 298, S. 165f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, August 2005.