188. Zu den Toten gerufen

Auf Oberprod lebte vor 100 Jahren ein baumstarker Mann, Bartholomäus Lutz. Eines Abends, als er sich zur Ruhe begeben wollte und bis auf das Hemd und einen Strumpf ausgekleidet war, hörte er plötzlich ein Murmeln wie ein Beten, das seinem Hause immer näher kam. Er eilte ans Fenster und sah unten auf der Straße das Nachtvolk betend vorbeiwandern. Der letzte im Zuge, auch nur mit dem Hemd und einem Strumpf angetan, sah unserm Barthli Lutz aufs Haar gleich. Dieser verstand die Mahnung und sagte zu sich selbst: "So, Narthli, dir gilt es; du kannst dich reisefertig machen!" Nach wenigen Tagen wurde er wirklich eingebettet auf dem Sarganser Friedhof.
D. Giger

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In der Nacht hörte Barthli auf der Straße ein lautes Gemurmel, stand eilig auf und schaute zum Fenster hinaus. Gin langer Zug ging vorüber; an dessen Schluß sah er sich selbst und zwar nur im einen "Hosenstoß" laufend. Wie er oben am Fenster über sich selbst hinunterschaute, bemerkte er, daß er die Hosen wirklich nur zur Hälfte angezogen hatte. Nach einigen Tagen starb der Mann.

In Wangs dagegen sah ein Mann sich selbst am Ende des Zuges mit dem Fensterflügel an der Achsel marschieren, eben weil er auch zum Fenster hinausschaute.

Es ist halt bidinggli, wümme si sälber uhni Spiägel gsieht. Ds' Barthli Lutzä Wib z' Proud hat ämoul dum Profässer Hinni erzelli: We si Ma erchrangget sei, säg er ämoul zuenem: "Lueg, dort gug-geisend zwi zum Pfifter ihä; der ei bin ich, und der ander ist der Joggli Willi!" Gli druf ist der Barthli gftorbä, im Summer 1823, und dernou der baumstarch Willi au.
Albrecht, Erinnerungen.

Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 188, S. 88
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Irene Bosshard, Juni 2005.