DER GESCHUNDENE SENN

Die drei Knechte der Alp Wyssenboden in der Gemeinde Bürglen sagten eines Tages zueinander: »Mier settet doch äu äs Wybervolch ha!« Da küferten sie aus Blätzen einen 'Dittitolgg' zusammen und nannten ihn Zurrimutzi, und wenn sie ihren Reisbrei aßen, sagten sie zu ihm: »Da friß äu!«, und strichen ihm davon in das Gesicht. Endlich fing der Tolgg an zu essen. Er versah ihnen die Hausfrau, kochte, waschte und flickte und half das Vieh hüten und melken. Er redete auch, aber nur mit dem Senn. Sie trieben mit dem Tunscheli allerlei Gugelfuhr und nahmen es abwechslungsweise zu sich in das Bett. Als der Herbst nahte, machten sie miteinander aus: »Der Toggel müeß de da blyba, der nähme-m'r de nitt mid-is.« Am Tage der Abfahrt half er ihnen noch das Vieh zusammentreiben. Als sie aber mir nichts dir nichts, nu kissmis nu läckmis, abziehen wollten, da kam er zur Sprache, stellte sich in aller Breite vor die Älpler hin, die Hände in die Hüfte gestemmt, und sagte zornig: »So! d'r ganz Summer hann ich g'hulfä schaffä'n und wärchä; jetz g'heert m'r äu ä Freid. Ich müeß fryli dablybä, aber Einä von ych müeß äu dablybä!« Da erschmyeten und erbleichten sie. Aber es gab keine Gnade. Einer mußte dahinten bleiben. Jetzt warfen sie das Los, und es traf den Senn. Die zwei ändern durften gehen, aber nicht zurückschauen, bevor sie die Alpmark hinter sich hatten. Als sie die Grenze überschritten, kehrten sie sich um, um noch einen letzten Blick zurückzuwerfen. Da bot sich ihren Augen ein Schauspiel, das ihnen das Herz im Leibe zittern machte. Auf dem Hüttendach schwingen das Zurrimutzi und der Senn miteinander; nach langem, hartem Ringen wird der Toggel Meister und wirft den Senn, der einen Mark und Bein erschütternden Schrei hören läßt, nieder, ergreift das Messer, kniet auf ihn, schindet ihn bei lebendigem Leibe und breitet die bluttriefende Haut auf dem Hüttendach aus.


Quelle: Deutsche Volkssagen. Hg. v. Leander Petzoldt. München 1978. S.206