DER ZUSCHAUER BEI DER TOTENPROZESSION

Es war zur Zeit des Beulentodes, als eines Morgens früh der Pfarrer (oder der Sigrist) zu Spiringen sich ankleidete und eben den einen Strumpf angezogen hatte. In diesem Augenblick hörte er im Freien ein Gemurmel wie von einem großen Volkshaufen. Erstaunt eilte er zum Fenster, um zu sehen, was das sei. Da zog eine große Prozession vom St. Antoni her laut betend zur Kirche. Die Teilnehmer kannte er alle, es waren Kinder und Erwachsene, Männer und Frauen; den Schluß bildete ein Mann, der den einen Fuß mit dem Strumpf bekleidet hatte, während der andere Strumpf auf seiner Achsel ruhte. Als die Prozession vorüber war, ging der Pfarrer (Sigrist) ins Zimmer zurück und nahm auch den zweiten Strumpf von der Achsel, um ihn anzuziehen. In diesem Augenblick kam ihm in den Sinn, wer jener Mann am Schlüsse der Prozession gewesen. Er sagte nun, wer alles aus seiner Gemeinde noch an der Pest sterben, und daß er selber der letzte sein werde. Und so kam es dann.


Quelle: Deutsche Volkssagen. Hg. v. Leander Petzoldt. München 1978. S.6