Die Altstadtmadonna

Eine uralte Tradition erzählt uns von der kostbaren holzgeschnitzten Madonnastatue in der Altstadtkapelle zu Zug interessante Legenden. Einstens stund das alte Städtchen Zug in höchster Gefahr, eine Beute grimmiger Feinde zu werden. Rings um die festen Ringmauern lagerten die Feinde und lauerten wie gierige Wölfe auf den Fall der Stadt. Aber die Altstadtmadonna schützte Zug. Während einer finstern Nacht erschien die Muttergottes auf den Stadtmauern und vertrieb die Feinde. Nachher begab sich die hohe Frau wieder in die Kapelle. Des andern Morgens fand man am untersten Rocksaum der Madonnastatue einige kotige Spuren, die vom Wandel auf den Stadtzinnen zeugten.

Es war in der Nacht vom 23./24. Weinmonat des Jahres 1531. Die kleine Streiterschar aus Ägeri und Menzingen war auf den Gubel gezogen, um die protestantischen Soldaten, die ins katholische Land eingedrungen waren, zu bekämpfen.

In der Stadt Zug war man ob dem Feind, der in aller Nähe weilte, sehr beunruhigt. Dem Nachtwächter wurde besonders gut Wacht aufgetragen. Als er um die späte Nachtstunde vom Zytturm her gegen die Linden am Graben schritt, bemerkte er eine dunkle Gestalt am Boden; es war eine Frauensperson. Mit groben Worten fuhr er sie an: "Stand uf, du Flungg". Da erhob sich die dunkle Frauensgestalt vom Boden, und plötzlich ging ein tagheller Lichtstrahl von ihrer Gestalt aus. Der Nachtwächter brach erschrocken zusammen. Die Madonna aus der Altstadtkapelle stand vor ihm in lichtem Strahlenkleide. Sie kündete dem zitternden Wächter, daß justament um diese Stunde die katholischen Mannen auf dem Gubel einen herrlichen Sieg errungen hätten. Der Wächter fürchtete eine Strafpredigt wegen seiner unschicklichen Worte, aber die Madonna machte ihm keine Vorwürfe. Voll Ehrfurcht begleitete er die strahlende Muttergottes zur Kapelle. Voll Staunen sah er sie durch den Kirchenraum schweben, und auf dem Hochaltar stand wieder die wohlbekannte hölzerne Statue der wundertätigen Altstadtmadonna.

Quelle: Hans Koch, Zuger Sagen und Legenden, Zug 1955, S. 16