Hünenbergers Pfeil

"Was soll das Schreibgekritzel des Hünenbergers Sohn?
Traun, den gelahrten Kitzel, ihn haßt' ich lange schon:
Ein Schwert, anstatt der Feder; ein Pferd, statt Eselsvließ!
So hielt's bis jetzt ein jeder, der "Hünenberger" hieß."

Zum greisen Abt von Kappel sprachs rauh der edle Gast
Und brach in seinem Rappel den Siegesbecher fast.
Der fromme Priester wiegte das weiße Lockenhaar,
Und, wie gewöhnlich, siegte sein Wort beredt und klar:

"Ich seh die Tage kommen", fiel er bedächtig ein,
"Wo, zu des Ganzen Frommen, das Schwert nicht herrscht allein,
Wo einer klugen Feder noch höh'rer Preis gebührt;
Beglückt ist dann Jedweder, der beide tüchtig führt!"

"So kritzle denn der Knabe!" Der Freiherr brummt's zum Abt:
"Ich geb' ihm, was ich habe, Ihr gebt ihm, was Ihr habt!
Bald führ' er Eure Waffe, bald schwing er Schwert und Speer!
Laßt sehn was frommt der Pfaffe, nützt ihm der Ritter mehr."

Das hat sich bald entschieden; dem Abte ward der Sieg,
Als in der Urschweiz Frieden die Fehde niederstieg;
Als Österreich zum Kampfe mit stolzem Heer genaht:
Daß es im Nu zerstampfe der Freiheit junge Saat.

Das schmerzt den alten Ritter; er liebt die Freiheit sehr;
Drum ist der Dienst ihm bitter in ihres Feindes Heer:
"Wie gern ich ihnen steckte des Angriffs Wo und Wann!"
Und beides leis entdeckte dem klugen Sohn er dann.

Da griff geheim zur Feder Herr Hünenberg der Jung,
Und auf ein Stücklein Leder schrieb er das Wort im Sprung:
"Ihr Mannen trotzt dem Sturme! Vergeltet Schlag mit Schlag!
Es gilt am "Roten Turme", auf nächsten Othmartag!"

Und einen Pfeil als Träger, wählt er dem Pergamin,
Schoß aus des Herzogs Lager ins Schweizerlager ihn.
Jetzt wußten die Bedrohten genau das Wo und Wann,
Und freuten sich des Boten und folgten stracks ihm dann.

Wohl ihnen, daß sie's taten! Denn still durchs Ägriholz,
Am Othmarstage nahten die Scharen Leopolds,
Mit Stricken in den Taschen, mit Schwert und Hallebart,
Das Land zu überraschen, behend und ungewahrt.

Doch als von steilen Halden, aufsteigend beiderhand,
Schlachtrufe donnernd schallten für Gott und Vaterland;
Felsblöcke ungefristet sich wälzten in die Schlucht -
Da sah sich überlistet der Feind und nahm die Flucht.

Doch in die blut'gen Gleise drang stracks der Schweizerschwarm,
Da ward, trotz Schnee und Eise, wohl manchem Ritter warm;
Stumm fiel der Landenberger, der Geßler sanken zwei -
Und kaum, mit Gram und Ärger, hieb sich der Herzog frei.

Im Hünenbergerschlosse, da zechten abends spät
Burgherr und Tischgenosse, von gleicher Lust durchweht.
Das war der Abt, der Alte, dem bei der Schweizer Sieg .
Die Seele freudig wallte, bis ihr das Wort entstieg:

"Laßt hoch die Feder loben, die jene Mahnung schrieb!
Ich will das Schwert erheben, das Österreich vertrieb;
Stimmt ein mit vollem Tone, trinkt aus, wie sich's gebührt:
Es gilt ja Eurem Sohne, der Schwert und Feder führt!"

J. J. Reithard

Quelle: Hans Koch, Zuger Sagen und Legenden, Zug 1955, S. 34