Das Licht an der Reuß

Der Herr auf Rüßegg, Ulrich III., war mit seiner lieben Ehefrau und der stattlichen Kinderschar bei den nahen Verwandten auf der festen Burg Hünenberg gewesen. Bei frohem Spiel und kühlem Trank flogen die Stunden allzu rasch dahin und plötzlich brach die frühherbstliche Nacht herein. Es wurde rasch ganz stockdunkel und mit einigen Fackeln begleiteten Hünenberger Knechte die Rüßegger Familie an die Reuß, wo sie mit der alten Fähre übersetzen wollte. Mit frohen Worten verabschiedete man sich voneinander, die Fähre stieß ab und ward rasch eine hilflose Beute der reißenden Reußwellen. Zwei kleine Knaben des Rüßeggers wurden durch das heftige Wogen des gierigen Reußwassers über Bord geworfen. Notschreie erstickten in den wilden Wellen. Am andern Tage erst fand man die zwei entseelten Körper der kleinen Knaben. Voll Schmerz über den jähen Verlust wußten sich die Eltern fast nicht zu fassen und in dieser Herzensnot gelobten sie ein Licht allnächtlich bei der Reußfähre brennen zu lassen, das mit dem hellen Scheine späte Wanderer glücklich an das rettende Ufer führen sollte. Eine reiche Geldstiftung wurde gemacht und jede Nacht leuchtete das Lichtlein an der Reuß zu Ehren der zwei ertrunkenen Knaben und zur Rettung später Fahrer. Als die Fähre an die Stelle der heutigen Brücke gesetzt wurde, kam das Licht auch dorthin, und als man die Fähre abschaffte, wurde die Lichtstiftung in die Kirche verlegt, sodaß bis vor einigen Jahren im Chor der nahen Sinserkirche zwei ewige Lichtlein brannten. Manches Jahr hatte das Lichtlein an der Reuß ins Zugerland gezündet und als die Burg von Hünenberg längst in Schutt und Trümmer gefallen, hatte nur noch das Reußlichtlein von den unglücklichen Gästen auf dieser Zuger Feste zu erzählen gewußt.

Quelle: Hans Koch, Zuger Sagen und Legenden, Zug 1955, S. 42