Der letzte Wildenburger

Vor den gierigen Händen des Burgherrn auf der Wildenburg und seiner wilden Knechte war weder Gut noch Hab sicher in der Umgebung. Einsame Wanderer wurden überfallen und ausgeplündert, manches Mägdlein wurde auf die Burg geschleppt. Der Wildenburger war eine richtige Landplage geworden, und nur mit Angst und Bangen ging man in der Nähe des Felsennestes vorbei.

Eines schönen Tages sah der Wildenburger von seiner Burg aus eine Jungfrau über die hölzerne Lorzenbrücke schreiten; es war die bildhübsche Anna Eisener. Sofort gab der Burgherr seinen Troßknechten den Befehl, die einsame Wanderin aufzufangen und auf seine Burg zu bringen. Das frevle Vorhaben wurde mit größter Eiligkeit ausgeführt und die Tochter wurde auf die Wildenburg gebracht. Aber sie blieb gegen alle Künste der Verführung und gegen alle Drohungen einer aufgeregten Leidenschaft blind und taub. Nur in voller Freiheit wolle sie den Wildenburger lieben. Der Ritter willigte ein und ließ sich von der Jungfrau Ort und Stunde bezeichnen zu einem stillen Treffen. So konnte die Verschleppte wieder die goldene Freiheit gewinnen, und schon auf dem Heimweg sann sie nach Rache für den wilden Überfall.

Ein Racheplan war rasch ausgeheckt. Ihr Vater legte Kleidung und Mantel der Tochter an, verkleidete sich so und verbarg unter dem Mantel seine große Streitaxt. Der gierige Wildenburger harrte schon lange am bezeichneten Ort auf die Schöne. Wie er das Gewand seiner Geliebten sah, stund er eilig von seinem moosigen Ruheplätzchen auf und eilte - in den Tod. Eisener schlug mit gewaltigem Schlag den mit offenen Armen herbeieilenden Wildenburger nieder, schnitt mit starkem Hieb dem Toten einen Schenkel ab, steckte ihn auf seine Streitaxt, eilte zur Stadt und rief die Bürger zur Rache auf. Voll grimmiger Wut stürmten nun die Zuger auf die Wildenburg, zerstörten die herrenlose Feste und verjagten die wilden Knechte.

Quelle: Hans Koch, Zuger Sagen und Legenden, Zug 1955, S. 28