HANS WATZLIK
Böhmerwald-Sagen, 1920
Liebe Landsleute!
Unser Böhmerwald ist ein wunderschönes, tiefgrünes Land voller Berge und Bäume und Bäche und gottesnaher Einsamkeit. Er birgt aber noch einen anderen unendlichen Reichtum, und das sind seine uralten Bräuche und frommen Legenden, seine übermütigen Schwanke und lieblichen Märchen und finsteren Sagen. Besonders die Sage ist es, die unklare Kunde außerwirklicher, wunderbarer Begebenheiten, die um Wald und Wasser und Moor, um Berg und Burg, um Gotteshaus und Bauernhütte, um vergangene Zeiten und Menschen tiefsinnig ihre dunkeln und goldnen Fäden spinnt und mit ihren seltsamen Geschöpfen heimlich unsere Heimat bevölkert und sie uns näher ans Herz bringt. Da lauert am Weiher der Wassermann im grünen Rock, da röhrt der Viehschelm und scheucht die Kühe und weissagt Brand, da klettern staubige Geister übers Mühlrad, der Bandelkrämer lockt mit bunten Bändern die Kinder in die Flut, die Melusine weint im Wind, der Teufel selber hinkt durch den Wald; und allerlei schreckhafte und launische Wesen treiben da ihren Spuck: das Nachtkrallei, das Haarstubenwaberl, die Augstalt, die Luzie, die Moosgeiß, der Hehmann, der Saurüsselmann, - wer kennt es völlig, dieses Volk der Gespensterlein und Ungetüme, der gutmütigen und übelgewillten, der schalkischen und furchtbaren, die seit altersher bei uns gehaust haben neben Raben und Bären und wohl noch da und dort hausen!
Mit diesem Büchlein statte ich dankbar und ehrfürchtig der Heimat zurück, was sie mir geschenkt hat. Ich habe diese treuherzigen Dichtungen zumeist aus dem Munde unseres Volkes gehört und gebe sie dem Volke in unserer waldschlichten Sprache wieder, daß sie weitergereicht werden sollen von der Ahnin dem Enkel und geraunt werden in den Spinnstuben wie vorzeiten, in den Rauhnächten, wenn der Tannenforst draußen schaudert oder die wilde Jagd übers Gebirg fährt.
Diese Sagen sind eine köstliche Blüte unserer Heimatkunst, andere Volksstämme beneiden uns darum. Leset sie öfters und erzählt sie dann anderen aus euch selbst heraus in eurer Art!
Wohl sind die Sagen nur erdichtet und niemals ist das Leben so, wie sie es darstellen, aber dennoch sind sie keine Lügen, sondern in ihnen lebt verschleiert tiefe Wahrheit und ihre wunderseltsamen Begebnisse führen uns weit hinein in die Rätsel der Natur und in verschollene Götterzeit und zurück bis zur Schöpfung unseres Gebirges.
Lassen wir diesen alten Reichtum nicht verderben!
Am Osser zu den Rauhnächten 1920
Hans Watzlik