Das Grünröckel

In hellen Vollmondnächten zieht der brave Günser Hauer nicht gerne durchs Gebirge, denn er könnte das Grünröckel treffen, und das bedeutet jedesmal Unglück. Ich interessierte mich als Abiturient für diese Sage und traf auch einen Mann, von dem die Bauern erzählten, er habe mit zweien seiner Kameraden das Grünröckel getroffen; bald darauf sei einer von den beiden unerwartet gestorben. Der Mann erzählte, sie hätten im Hochsommer zu dritt mit ihrem Ochsengespann aus dem Gebirge Holz in die Stadt heimgefahren und hiezu die mondhelle Nacht ausgenützt, um der Tageshitze und den vielen Viehbremsen zu entgehen. Die Gespanne trotteten vor den Leiterwagen, eines hinter dem anderen talwärts, auf den Gefährten dösten die Gespannführer. Plötzlich blieb das erste Ochsenpaar in einem Hohlweg zwischen zwei Weingärten stehen und war nicht zu bewegen weiterzugehen. Der Erzähler zwängte sich seinem Wagen entlang vor sein Gespann, um die Ursache des Aufenthaltes zu ergründen. Da stiegen ihm vor Schrecken die Haare zu Berge. Einige Schritte vor ihm stand mitten im Hohlweg, vom Vollmond hell beleuchtet, ein kleingewachsener Mann mit spitzem Hut, einer weißen Krause um den Hals, über der Schulter einen glockenartigen grünen Kragen, der bis zum halben Oberschenkel reichte. Darunter hatte das Männchen kurze Pumphosen und dann anliegende Beinkleider herab bis zu den Schuhen, an die sich der Bauer nicht mehr erinnerte. Regungslos stand die unheimliche Gestalt im hellen Mondlicht und schaute den Bauern mit grinsendem Lächeln an. Als die beiden anderen Bauern laut zu rufen begannen, was denn vorne los sei, schüttelte er seinen Schrecken ab, sprang zum Wagen und riß seine langstielige Axt herunter. Im Nu war er wieder vor der Erscheinung und führte mit allen Kräften einen Hieb gegen dieselbe. Als die Axt niedersauste, tat das Männchen einen Seitensprung die Böschung hinauf und war plötzlich verschwunden. Die Seiten des Hohlweges waren mit dichtbewachsenen Weinspalieren eingesäumt. Durch diese war die Erscheinung ohne Geräusch oder den Eindruck eines materiellen Widerstandes durchgesprungen.

So erzählte der alte Hauer über das Grünröckel, an das auch die Eltern dieser Generation glaubten, und war bereit, die Wahrheit seiner Erzählung zu beschwören. Der Mann machte den Eindruck, daß zumindest er von der Tatsache seines Erlebnisses fest überzeugt war.

Viele behaupten, das Grünröckel sei der Geist jenes hingerichteten Hörmann, der im Jenseits keine Ruhe finde und nächtlicherweile in den Günser Bergen herumspuke, in denen er, vor seinen Verfolgern flüchtig, so lange ein ruheloses Leben geführt habe. Oder sollte sich die Venedigersage bis in unsere Berge verirrt haben? a)

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Das Grünröckel ist ein Bergmandl, das im Günser Gebirge haust und sich damit belustigt, den Wanderer zu necken. Ansonsten ist dieses Bergmandl den Menschen gut gesinnt, und sein Erscheinen verkündet mitunter ein seltsames Ereignis, weshalb es im Volksmunde heißt, es bringe Unglück.

In einer mondhellen Nacht fuhren drei Burschen aus dem Gebirge Holz in die Stadt. In einem Hohlweg wollte das erste Gespann plötzlich nicht weitergehen. Der erste Bursche blickte über seine Tiere und sah zu seinem Schrecken einen Zwerg mit spitzem Hut und grünem Wams vor den Ochsen stehen und ihn neckisch anlächeln. Dem Burschen, der das Grünröckel nicht erkannt hatte, war es ängstlich zumute, weshalb er den Spuk mit der Axt niederschlagen wollte. Als die Axt niedersauste, tat das Bergmandl einen kräftigen Seitensprung und verschwand rasch über die Böschung. b)



Quelle: a) 1927 Schloß Bernstein im Burgenland, W. Erwemweig, Bernstein 1927, S. 32f, zit. nach Sagen aus dem Burgenland, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 236f.
b) Angaben zu den abergläubischen Erzählungen aus dem südlichen Burgenland (Burgenländische Forschungen, H. 33), Karoly Gaal, Eisenstadt 1965, Nr. 29, S. 55, zit. nach ebenda.