Marsi
Wer war Marsi? Nicht eben viel: ein armer Soldat, der es zu nichts bringen konnte, aber im Felde stets tapfer und im Kreise seiner Kameraden immer lustig und guter Dinge war.

Als er den letzten Heller mit seinen Kriegsgenossen geteilt hatte, nahm er von ihnen Abschied und zog in die Heimat zu seinen Verwandten. Er kam gerade dazu, wie sie sich in das Erbe seines Vaters teilten. Das war nicht eben groß und auf ihn kam gerade ein Pfennig, ja, wahrhaftig, nicht mehr als ein Pfennig. Aber Marsi nahm ihn und wanderte frohgemut in die Fremde.

Ein Liedlein singend schritt er durch Wiese und Feld und kam endlich an den Rand eines Waldes, wo ihm ein eisgrauer Bettler begegnete, der ihn um eine Gabe anflehte. Unser Marsi bedachte sich nicht lange, griff in die Tasche und gab dem Alten den Pfennig. Mehr hatte er nicht.

Wie erstaunte der frohgemute Wandersmann, als der greise Bettler ihm ganz feierlich sagte:

"Deine Gabe soll dir reichlich vergolten werden. Glück und Segen begleiten dich auf allen deinen Lebenswegen. Sprich, was wünschest du dir auf Erden?"

Marsi überlegte nicht lange. Es fuhr ihm so durch den Sinn, daß er sagte:

"Lieber Alter, entweder etwas Rechtes oder nichts. Ich wünsche mir, daß ich, wenn ich will, mich in einen Hasen, in einen Fisch oder in eine Taube verwandeln konnte. Mehr will ich nicht."

Er hatte das so plötzlich vor sich hingesagt, aber der alte Bettler meinte:

"Was du wünschest, soll dir gewährt sein. Zieh hin und gedenke meiner."

Und schon war der Alte verschwunden; Marsi aber wanderte weiter und dachte gar nicht mehr recht an seine Wünsche und an den Bettler.

So kam er gegen Abend über die Grenze ins Ungarland. Und auf einem freien Platz sah er viele Leute und hörte lustige Musik und Gesang, Trommelwirbel und Becherklang.

Tiefgebräunt vom Sonnenbrande,
Rotgeglüht von Weinesglut,
Spielt da die Zigeunerbande
Und empört das Keldenblut.(Lenau)

Er war auf einen Werbeplatz geraten und es dauerte nicht lange, so klimperten blanke Silberstücke in seiner Tasche, saß ein Tschako auf seinem krausen Schwarzhaar und hing ein Säbel an seiner Seite.

Er war wieder Soldat geworden und bald ging's dem Feinde entgegen, das Land des Königs zu verteidigen. Weil er aber das Soldatenhandwerk schon verstand und ein frischer, kräftiger Bursche war, reihte man ihn bald in die Leibkompagnie ein, die des Königs Person verteidigen mußte. Das machte ihm viele Feinde, denn er war doch aus der Fremde gekommen und hatte sich noch keine Verdienste erworben.

Nun hatte aber der König von einem Zauberer einen Ring geerbt, der die Kraft hatte, ihn unüberwindlich zu machen. Doch das Unglück wollte, daß er gerade damals, als es ihm in der Schlacht wegen der Übermacht der Feinde sehr übel erging, den Ring mitzunehmen vergessen hatte. Das Schloß aber war vom Schlachtfelde so weit entfernt, daß selbst der schnellste Reiter sieben Tage gebraucht hätte, um alle die Gewässer und Berge zu überwinden, die zwischen dem Schlachtfelde und dem Palast des Königs lagen.

In seiner Verzweiflung rief der König:

"Wer mir den Ring herbeischafft, ehe uns der Feind völlig überwältigt hat, der soll zum Lohne die Hand meiner Tochter haben."

Doch die Generale und Offiziere standen ratlos, das Wagnis schien allen unmöglich. Da erinnerte sich Marsi plötzlich der Worte des Bettlers. Er trat aus der Reihe vor und sagte:

"Du sollst den Ring haben, o König, gedenke dann deines Versprechens!"

Nun wünschte er sich, ein Hase zu sein; er rüttelte und schüttelte sich und sogleich flog er auch schon mit Windeseile als Hase übers Feld dahin, daß der Staub hinter ihm in Wolken aufwirbelte und alle vor Erstaunen den Mund aufsperrten, als sie dies Wunder sahen.

So kam er an einen großen Fluß, die Theiß; da rüttelte und schüttelte er sich wieder und schwamm als silbernes Hechtlein pfeilschnell über den Strom. Nun waren aber noch Hügel und Berge zu überwinden. Abermals rüttelte und schüttelte er sich und flog als Taube mit Windeseile über Berg und Tal und gerade durchs Fenster ins Zimmer, wo die Königstochter saß und spann.

Die Taube setzte sich ihr auf die Achsel und die Prinzessin hatte an dem zahmen Tierchen eine große Freude und liebkoste es zärtlich. Doch die Taube schüttelte ihr Gefieder und auf einmal stand ein Soldat vor der Prinzessin.

Da er aber so schmuck und von einnehmender Gestalt war, erholte sich die Königstochter rasch von ihrem Schrecken und Marsi erzählte ihr, weshalb er gekommen, und bat sie, ihm nur schnell den Zauberring zu geben, denn der König, ihr Vater, schwebe in höchster Gefahr. Die Prinzessin holte rasch das Kleinod aus der Truhe und händigte es dem jungen Kriegsmann ein, warnte ihn aber, sich auf dem Heimwege vor der Hinterlist seiner Kameraden ja in Acht zu nehmen.

Damit er aber, wenn ihm etwas Übles zustieße, ein Zeugnis vor dem König habe, bat er die Königstochter, von ihm drei Pfänder zu nehmen. Deshalb verwandelte er sich wieder in eine Taube und sprach:

"Zieh jetzt zwei Federlein
Aus meinen Flügelein!"

Die Königstochter tat, wie ihr geheißen. Dann rüttelte sich die Taube und wurde ein Hecht. Der konnte auch sprechen und sagte zur Prinzessin:

"Nimm mit dem Fingerlein
Acht von den Schuppen mein!"

Auch dies tat die Königstochter. Dann stand auf einmal ein Hase vor ihr, der zu ihr sagte:

Marsi, Wilhelm Roegge

Marsi
Textillustration von Wilhelm Roegge

"Schneid, Königstöchterlein,
Mir ab mein Schwänzelein!"

Die Prinzessin nahm eine goldene Schere und schnitt dem Hasen das Schwänzchen ab. Hierauf tat sie die Federn, die Schuppen und das Schwänzlein in ein Schächtelchen und verschloß es mit einem Schlüssel, den sie zu sich steckte.

Mittlerweile aber hatte sich das Häslein wieder gerüttelt und geschüttelt und Marsi stand in seiner wahren Gestalt vor der Königstochter und nahm rührenden Abschied von ihr.

Vor dem Palaste wurde Marsi wieder eine Taube, steckte den goldenen Ring in den Schnabel und flog über Berg und Tal. Aber von der schweren Last wurde er müde, und da auch der Wind ihm heftig entgegenblies, mußte er sich vorzeitig in einen Hasen verwandeln, der nun über Stock und Stein dem Platze zulief, wo das Heer des Königs lag, der schon im Begriffe war, dem Feinde zu erliegen, denn er hatte bisher vergeblich auf Marsi gewartet, der ihm den Ring überbringen sollte.

Aber die Königstochter hatte unsern Helden nicht umsonst gewarnt. Einer seiner Kriegskameraden, der von Neid entbrannt war, hatte sich hinter ein Zelt versteckt, um den Hasen zu erschießen, wenn er herangelaufen käme. Als nun der Hase in wildem Laufe herbeigesprungen kam, krachte ein Schuß und Marsi lag tot hingestreckt auf dem Felde.

Sogleich sprang der Soldat hinzu, riß ihm den Ring aus dem Maule und überbrachte ihn dem König, der nun sogleich die Feinde schlug und seinem Retter, der ihm den Ring gebracht hatte, die Hand seiner Tochter verhieß.

Das feindliche Land wurde erobert und der König zog mit seinem siegreichen Heere triumphierend in die Residenz zurück. Sogleich führte er den Überbringer des Ringes in das Gemach seiner Tochter und sagte:

"Hier ist derjenige, dem ich den Sieg verdanke und dem ich zum Lohne deine Hand zugesagt habe. Schon morgen soll eure Hochzeit stattfinden."

Aber die Königstochter wollte den falschen Marsi nicht heiraten; sie weinte und jammerte, als sie die Worte ihres Vaters hörte, schloß sich in ihr Zimmer ein und wurde krank, so daß man die Hochzeit verschieben mußte.

Unterdessen lag der arme Hase tot auf dem Felde und war schon nahe daran, eine Beute der Raben zu werden. Da ging der alte Bettler, dem Marsi einst seinen einzigen Pfennig geschenkt hatte, vorüber und sagte zu dem toten Hasen:

"Steh auf und lebe! Rüttle und schüttle dich und eile, so schnell du kannst, ins Königsschloß. Ein anderer steht an deiner Stelle; wenn du nicht eilst, ist alles verloren!"

Im Nu stand der Hase wieder lebendig auf seinen vier Beinen, lief wie der Wind übers Feld, schwamm als Hecht durch die Theiß und kam als Taube in die Königsburg geflogen. Doch der König wollte ihn nicht erkennen, als Marsi sich wieder in einen Menschen verwandelt hatte, denn der Betrüger hatte des Herrschers Vertrauen gewonnen.

Nun sagte der wahre Marsi:

"Führe mich zu deiner Tochter, o König, sie soll entscheiden, welchem von uns sie den Ring gegeben hat."

Als die Prinzessin Marsi erblickte, rief sie aus:

"Dies ist mein Bräutigam, ihm und keinem andern hab' ich den Ring gegeben."

Dann sagte sie zu ihrem Vater:

"Befiehl du doch einmal diesem Betrüger da, sich in einen Hasen, in einen Fisch und in eine Taube zu verwandeln, wie es mein lieber Marsi getan hat."

Der König befahl es, aber der falsche Bräutigam stand wie ein Stock so steif da und rührte sich nicht. Marsi aber rüttelte und schüttelte sich und saß im nächsten Augenblick dem Königstöchterlein als Taube auf dem Schoß und sagte zu ihr:

"Fasse die Federlein
Wieder mir ein!"

Da holte die Prinzessin ihr Schächtelchen, nahm die Federn heraus und fügte sie wieder in die Flügel dort, wo sie fehlten.

Dann wurde aus der Taube ein silberner Hecht und man hörte deutlich die Worte:

"Nun, Königstöchterlein,
Setz mir die Schuppen ein!"

Die Prinzessin nahm die acht Silberschuppen aus dem Kästchen und setzte sie genau an die Stelle, wo sie dem Fische fehlten.

Flugs war der Fisch verschwunden und ein Hase stand vor der Königstochter, der zu ihr sagte:

"Nun setz mein Schwänzelein
Mir wieder ein!"

Die Prinzessin tat es, und alle hatten sich so überzeugt, daß Marsi wirklich den Zauberring aus dem Schlosse geholt hatte; der schändliche Betrüger wurde entlarvt und der König ließ ihn hinrichten.

Marsi aber heiratete das Königstöchterlein und der König gab ihm das dem Feinde abgenommene Land zur Herrschaft. Dort lebte er noch lange und glücklich, wie die Sage uns erzählt und wie wir ihr wohl glauben dürfen.

Quelle: Sagenbuch aus Österreich und Ungarn. Sagen un Volksmärchen aus den einzelnen Kronländern und aus den Ländern der Ungarischen Krone. Leo Smolle. Wien, Budapest, Stuttgart [1911]. S. 168 - 174