DAS ROTHTAL, EINE ALPENHÖLLE

Dieses schauerliche, nur von wenigen Menschen besuchte Tal, liegt zwischen der Bärenfluh, dem Durloch-, Gems- und Rothhorn am südwestlichen Abhang der Jungfrau. Vor Zeiten soll daselbst eine "Blümelisalp" gewesen sein; seit langem aber ist das Rothtal sehr berüchtigt. Dachte man sich eine der wildesten Gegenden, wo weder Menschen noch Vieh weilen können, so wurde das Rothtal genannt. Nicht nur sollte da ein unerträglicher Frost und in den Tiefen eine schreckhafte Finsternis herrschen; nicht nur sollte das Wasser ein fürchterliches Getöse verursachen und das Gekrächze der Raubvögel Furcht und Grauen einflößen, sondern es müssen daselbst auch Gespenster und unselige Geister ihr Wesen treiben und bald die Trommel schlagen, bald auf entsetzliche Weise heulen.

Hugi - in seiner naturhistorischen Alpenreise - erzählt: Abgeschiedene und die Wohnungen der Menschen beunruhigende Poltergeister seien - nach dem Volksglauben - an dem Eingang des Tales in Felsen- und Eisschründen in verschlossene Gefäße gebannt. Solche, die im Leben Freveltaten verübt, sollen zur ewigen Strafe dort ihren Aufenthalt haben. Namentlich sind es die alten Talherren. Weil diese gegen die Hirtinnen sich ungebührlich betrugen, so wurden sie von einem ungeheuren Bock vertilgt und zugleich wurde das Tal so zerstört, daß es nichts mehr zu zeugen vermochte und mit Eislasten sich füllte.

(Nach den Berichten von G. Studer und Hugi)

Quelle: Theodor Vernaleken, Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858