DER RUCHLOSE SOHN

Auf den Clarideralpen soll vor Zeiten ein Senn eine leichtfertige Weibsperson unterhalten und so in Ehren gehalten haben, daß er ihr von der Wohn- oder Sennhütte bis zum Käsgaden (Käsekammer) den sonst kotigen Weg mit Käsen überdeckt habe, damit sie ihre Schuhe nicht besudle. Einmal kam nun seine arme Mutter zu ihm, um ihren Hunger mit Milch und Suffi (Molke, mit Zieger vermischt) zu stillen. Der gottlose Sohn aber mischte ihr Pferdeharn unter die Milchspeisen und gab solches der Mutter. Als sie das merkte, wünschte sie ihrem verschwenderischen und ruchlosen Sohn alles Unglück über den Hals und bat Gott um gerechte Rache. Und das ward auch erfüllt. Der Sohn wurde mit der leichtfertigen Dirne von der Erde verschlungen; die oberen Firne und Felsen fielen ein und überdeckten die vorher grasreichen Alpen. Seit jener Zeit sind sie unfruchtbar.

Die Umwohner geben an, daß der Bösewicht sich merken lasse, wenn man ihn rufe oder ihn herausfordere. Ein Priester soll ihn einst herausgefordert haben, worauf die Erde in Erschütterung geraten und die Felsen mit großem Getöse herabgefallen seien. Darauf sei der Priester, von Schrecken ergriffen, davongelaufen.

(Scheuchzer, Alpenreisen)

Quelle: Theodor Vernaleken, Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858