Bertasagen aus Ronchi (bei Ala)
Es herrschte früher der Glaube, dass, wenn abends Weiber allein ohne einen Mann im "Filò" waren, ihnen leicht etwas übles zustossen konnte, besonders kamen die "Frauberte" und dann wehe! Eines Abends sassen zwölf Weiber in einem Filò und spannen und redeten von allerlei Dingen. Es war schon eilf [elf] Uhr nachts, da bemerkte Eine: "Wir sind heute ohne Männer, gehen wir, sonst begegnet uns ein Unglück." Kaum hatte sie es gesagt, so klopfte es schon an die Thüre [Türe] und hereintrat eine Frau Berta.
"Seid gegrüsst, Frau Berta mit der langen Nase!"
(Padrona, Frauberta dal nas longh)
(denn so musste man sie immer anreden) riefen die Weiber und Eine stand auf und räumte der Frau Berta ihren Stuhl ein. "Wird eine andere nach mir kommen, die eine noch längere Nase hat!" erwiederte die Frau Berta und sezte sich nieder. Bald klopfte es wieder an die Thüre und hereintrat die zweite Frau Berta mit einer noch längern Nase.
"Seid gegrüsst, Frau Berta mit der langen Nase!"
sagten die Weiber wieder und es stand die zweite auf und räumte der Frau Berta ihren Stuhl ein. "Wird eine andere nach mir kommen, die eine noch längere Nase hat!" sagte dieselbe und sezte sich nieder. Und so ging es fort, bis auch die zwölfte kam, die hatte die längste Nase und die Frauberte sassen auf den Stühlen, die Weiber aber standen und zitterten vor Angst.
Da sagte die erste Frau Berta: "Was wollen wir thun?" Und die zweite: "Wir wollen Wäsche machen." Und die erste sagte zu den Weibern: "Bringt uns die Wassereimer, wir müssen Wasser holen." Die Weiber zitterten, denn sie wussten, was das bedeute — denn die Frauberte wollten sie sieden und brühen; daher liefen sie und kam jede mit zwei Körben wieder zurück. Nun gingen die Frauberte fort zur Etsch hinab und wollten die Körbe füllen, aber das Wasser lief bald wieder aus und sie mühten sich lange vergeblich ab. Voll Wuth kehrten sie wieder zum Filò zurück, aber da war es dunkel und die Thüre gesperrt und jedes der Weiber lag beim Manne im Bette. Da ging eine Frau Berta an das Fenster der Schlafkammer eines von den Weibern und schrie hinein: "Dank' es der Hose, bei der du liegst, sonst weh dir!"
Am nächsten Tage sagten die Weiber: "Heute Nacht kommen die Frauberte gewiss wieder und wir müssen uns vorsehen." Auf ihre Bitten versteckte sich ein Mann neben dem Filo in der Heukrippe eines Ochsen. Um eilf Uhr kamen die Frauberte wieder ganz so, wie in der vorigen Nacht; als sich aber die zwölfte niedergesezt hatte, sprang der Mann aus seinem Verstecke hervor und erschlug alle zwölf. So wurden die Weiber wieder gerettet.
*
Ein Weib machte einmal nachts in der Küche Wäsche, während ihr Mann in der Kammer schlief. Da kam eine Frauberta herein, stürzte das Weib in das siedende Wasser und hing sie bei den Füssen an der Feuerkette auf. Bald darauf erwachte der Mann und rief hinaus: "Weib, bist du bald fertig?" "Sie siedet! sie siedet!" (la ciótterna , la ciótterna !) schrie die Frauberta hinein und entfloh. Darauf kam der Mann heraus, aber zu spät, denn sein Weib war schon todt [tot].
Quelle: Chrsitian Schneller, Märchen und Sagen aus Wälschtirol, Innsbruck 1867, S. 201
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, 2007.
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