DIE MEISTERWURZ
An der folgenden Geschichte kann man sehen, wie
Sagen entstehen:
"Mein Sohn besuchte mit mir zusammen 1976 auf der Planneralm in der Steiermark einen botanischen Kurs. Wir lernten dort eine Wurzel kennen, die nur dort wächst und von den Einheimischen auf verschiedene Weise als Potenz- und Stärkungsmittel benutzt wird: die Meisterwurz. Es handelt sich um eine Art wilden Sellerie. Mein Sohn, damals 15 Jahre alt und Gymnasiast in Konstanz, grub sich eine größere Menge dieser Wurzeln aus, hackte sie in halbfingerlange Stücke und setzte dann in seiner Schule das Gerücht über eine neue Potenzwunderwurzel in Umlauf. Im Verein mit dem Pedell setzte er die Dinger für fünf Mark pro Stück rasch ab. Auf die Frage, ob die Wurzeln auch geholfen hätten, pflegte er zu antworten: Mir schon! Diese Geschichte erzählte ich im Burgenland weiter, und ein oder zwei Jahre später hörte ich sie fast genauso wieder, nur spielte sie jetzt bereits im Burgenland, und der Preis der Wurzeln hatte sich von fünf Mark auf fünfhundert Schilling gesteigert."
Briefliche Mitteilung einer Diplom-Psychologin (56) aus Wien an Rolf
Wilhelm Brednich, am 7. Mai 1990.
Quelle: Die Maus im Jumbo-Jet, Neue sagenhafte
Geschichten von heute, Rolf Wilhelm Brednich, München 1991, Seite
108