Am Baum gehenkt

"Ein junges Ehepaar befindet sich auf einer Urlaubsfahrt, und die möchten also Urlaub machen außerhalb vom Touristenstrom und fahren deshalb durch die jugoslawischen Bergdörfer. Und die Straßen sind sehr unübersichtlich, und die Häuser stehn so eng in dem Dorf. Und dann passiert es dem Mann, der am Steuer sitzt, daß en kleines Mädchen vors Auto läuft, und es bleibt blutüberströmt liegen. Und der Mann steigt aus und sagt seiner Frau: "Lauf los und besorg en Doktor!" Und als die Frau dann nach ner Weile wiederkommt, ist also...das Auto steht noch da, kein Mensch zu sehn. Und dann läuft se in Panik durchs Dorf und sieht eine Menschentraube um einen Baum stehn. Und wie sie also drauf zu kommt, teilt sich die Menschenmenge, und da haben se ihren Mann aufgehängt."

Quelle: Der Rattenhund - Sagen der Gegenwart, Helmut Fischer, Köln 1991, Nr. 99, S. 88

Variante:

Lynchjustiz

Ein Ehepaar aus Deutschland machte im eigenen Wohnwagen Urlaub in Ägypten. Als sie gerade zur nächsten Sehenswürdigkeit unterwegs waren, lief ihnen ein einheimisches Kind ins Auto. Der Unfall passierte auf einer Landstraße, weit und breit war kein Mensch zu sehen, den sie um Hilfe für das Kind bitten konnten. Der Mann nahm deshalb das Kind und fuhr es mit dem Wagen ins nächste Krankenhaus. Seine Frau sollte unterdessen im Wohnwagen an der Unfallstelle bleiben und auf die Polizei warten, die er benachrichtigen wollte. Nach etwa einer Stunde kam er zusammen mit einem Polizisten zurück. Inwischen hatten die Familienangehörigen des Kindes die Frau aus dem Wohnwagen gezerrt und an Ort und Stelle gelyncht.

Quelle: Rolf Wilhelm Brednich, Die Maus im Jumbo-Jet. Neue sagenhafte Geschichten von heute. München 1998. Nr. 53, S. 75. Diese Horrorgeschichte erzählte im Juni 1990 eine 41jährige Hausfrau in Göttingen der Aufzeichnerin Angelika Netzband-Knopp.
Vgl. Simonides, Dorota: Moderne Sagenbildung im polnischen Großstadtmilieu. In: Fabula 28 (1987) 269 - 283. S. 274 ff.