Der böse Winter, Johann Peter Hebel
Mancher, der nicht gern die Stube und den Ofen hütet, zumal wenn kein Feuer darin ist, denkt noch an den langen Winter von 1812 auf 1813. Mancher aber denkt auch nimmer daran und weiß nichts mehr davon. Ist nicht der Boden und alles, was noch darin ist, eingefroren schon im frühen November und verschlossen geblieben, wie der Himmel zur Zeit Eliä, bis hinaus in den Februar?
Der Hausfreund aber erinnert sich jetzt wieder, was die Alten von dem Winter des Jahrs 1740 erzählt und geschrieben haben, und wie es aussah, nicht nur in Moskau oder Smolensko, nicht nur am Fluß Borysthenes oder an der Düna, nicht nur an der Weichsel, sondern auch am Rheinstrom und an dem Neckar. Die Stuben waren nicht zur Wärme zu bringen. Während der Ofen glühte, gefror zu gleicher Zeit das Wasser an den Fenstern zu Eis, so daß jedes Stüblein, auch noch so klein, gleich der Erde eine heiße Weltgegend hatte und auch eine kalte, nur keine gemäßigte. Wenn man langsam Wasser von einem hohen Fenster herabgoß, es kam kein Wasser auf den Boden, sondern Eis. Nicht immer war es gleich. Aber in den kältesten Tagen, wenn einer aus dem warmen Zimmer gegen den Wind ging, er kam nicht tausend Schritte weit, so bekam er Beulen im Gesicht, und die Haut an den Händen sprang ihm auf. Die Erde war drei Ellen tief gefroren. Wollte der Totengräber einem sein Grab auf dem Kirchhof zurechtmachen, er mußte zuerst einen Holzhaufen auf dem Platz anzünden und abbrennen lassen, damit er mit der Schaufel in die Erde kommen könnte. Das Wild erfror in dem Walde, die Vögel in der Luft, das arme Vieh in den Ställen.
In Schweden kamen 300 Menschen um das Leben, die doch dort daheim und der Kälte von Kindesbeinen an gewohnt und nicht auf dem Heimweg aus einem russischen Feldzug waren. In Ungarn aber erfroren achtzigtausend Ochsen.
Aber das kühne und mutwillige Menschengeschlecht weiß fast alle Schwierigkeiten und Anfechtungen zu besiegen, welche die Natur seinem Beginnen entgegenstellt. Es hat sich nicht zweimal sagen lassen: »Machet sie euch Untertan.« Denn die Küfer in Mainz verfertigten damals zum Andenken mitten auf dem Rhein ein Faß von sieben Fuder und zwei Ohm, trotz der Kälte. Aber die Heidelberger Bäcker meinten, das sei noch nicht das Höchste, was man tun könne. Denn der Pfälzer will alles noch ein wenig weiter bringen als andere Leute. Also setzten sie mitten auf dem Neckar, wo nach wenig Monaten wieder die Schiffe fuhren, einen Backofen auf, und es ist manches Laiblein Weißbrot und Schwarzbrot aus demselben gezogen und zum Wunder und Andenken gegessen worden.
Dies ist geschehen im Winter des Jahrs 1740.
Quelle: Johann Peter Hebel, Der böse Winter, aus: J. P. Hebel, Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes, Sämtliche poetische Werke, Band 4, Leipzig 1905.