DER KLUGE KNECHT
Wie glücklich ist der Herr, und wie wohl steht es mit seinem Hause,
wenn er einen klugen Knecht hat, der auf seine Worte zwar hört, aber
nicht danach tut und lieber seiner eigenen Weisheit folgt. Ein solcher
kluger Hans ward einmal von seinem Herrn ausgeschickt, eine verlorene
Kuh zu suchen. Er blieb lange aus, und der Herr dachte 'der treue Hans,
er läßt sich in seinem Dienste doch keine Mühe verdrießen.'
Als er aber gar nicht wiederkommen wollte, befürchtete der Herr,
es möchte ihm etwas zugestoßen sein, machte sich selbst auf
und wollte sich nach ihm umsehen. Er mußte lange suchen, endlich
erblickte er den Knecht, der im weitem Feld auf- und ablief. 'Nun, lieber
Hans,' sagte der Herr, als er ihn eingeholt hatte, 'hast du die Kuh gefunden,
nach der ich dich ausgeschickt habe?, 'Nein, Herr,' antwortete er, 'die
Kuh habe ich nicht gefunden, aber auch nicht gesucht.' 'Was hast du denn
gesucht, Hans?' 'Etwas Besseres, und das habe ich auch glücklich
gefunden.' 'Was ist das, Hans?, 'Drei Amseln,' antwortete der Knecht.
'Und wo sind sie?' fragte der Herr. 'Eine sehe ich, die andere höre
ich, und die dritte jage ich,' antwortete der kluge Knecht.
Nehmt euch daran ein Beispiel, bekümmert euch nicht um euern Herrn und seine Befehle, tut lieber, was euch einfällt, und wozu ihr Lust habt, dann werdet ihr ebenso weise handeln wie der kluge Hans.
Quelle: Kinder- und Hausmärchen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm), 1812-15, KHM 162