DAS DIETMARSISCHE LÜGENMÄRCHEN
Ich will euch etwas erzählen. Ich sah zwei gebratene Hühner
fliegen, flogen schnell und hatten die Bäuche gen Himmel gekehrt,
die Rücken nach der Hölle, und ein Amboß und ein Mühlstein
schwammen über den Rhein, fein langsam und leise, und ein Frosch
saß und fraß eine Pflugschar zu Pfingsten auf dem Eis. Da
waren drei Kerle, wollten einen Hasen fangen, gingen auf Krücken
und Stelzen, der eine war taub, der zweite blind, der dritte stumm und
der vierte konnte keinen Fuß rühren. Wollt ihr wissen, wie
das geschah? Der Blinde, der sah zuerst den Hasen über Feld traben,
der Stumme rief dem Lahmen zu, und der Lahme faßte ihn beim Kragen.
Etliche, die wollten zu Land segeln und spannten die Segel im Wind und
schifften über große Äcker hin: da segelten sie über
einen hohen Berg, da mußten sie elendig ersaufen. Ein Krebs jagte
einen Hasen in die Flucht, und hoch auf dem Dach lag eine Kuh, die war
hinaufgestiegen. In dem Lande sind die Fliegen so groß als hier
die Ziegen. Mache das Fenster auf, damit die Lügen hinausfliegen.
Quelle: Kinder- und Hausmärchen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm), 1812-15, KHM 159