MUTTERGOTTESGLÄSCHEN
Es hatte einmal ein Fuhrmann seinen Karren, der mit Wein schwer beladen
war, festgefahren, so daß er ihn trotz aller Mühe nicht wieder
losbringen konnte. Nun kam gerade die Mutter Gottes des Weges daher, und
als sie die Not des armen Mannes sah, sprach sie zu ihm 'ich bin müd
und durstig, gib mir ein Glas Wein, und ich will dir deinen Wagen frei
machen.' 'Gerne,' antwortete der Fuhrmann, 'aber ich habe kein Glas, worin
ich dir den Wein geben könnte.' Da brach die Mutter Gottes ein weißes
Blümchen mit roten Streifen ab, das Feldwinde heißt und einem
Glase sehr ähnlich sieht, und reichte es dem Fuhrmann. Er füllte
es mit Wein, und die Mutter Gottes trank ihn, und in dem Augenblick ward
der Wagen frei und der Fuhrmann konnte weiterfahren. Das Blümchen
heißt noch immer Muttergottesgläschen.
Quelle: Kinder- und Hausmärchen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm), 1812-15, Kinderlegenden - Nr. 7