DIE STERNTALER
Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben,
und es war so arm, daß es kein Kämmerchen mehr hatte, darin
zu wohnen, und kein Bettchen mehr hatte, darin zu schlafen, und endlich
gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot
in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber
gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im
Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. Da begegnete ihm ein armer
Mann, der sprach: »Ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungerig.«
Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: »Gott segne
dir's«, und ging weiter. Da kam ein Kind, das jammerte und sprach:
»Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich
ihn bedecken kann.« Da tat es seine Mütze ab und gab sie ihm.
Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte
kein Leibchen an und fror: da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat
eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin. Endlich gelangte
es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins und
bat um ein Hemdlein, und das fromme Mädchen dachte: »Es ist
dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben«,
und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin. Und wie es so stand und
gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel, und waren
lauter blanke Taler; und ob es gleich sein Hemdlein weggegeben, so hatte
es ein neues an, und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es
sich die Taler hinein und war reich für sein Lebtag.
Sternentaler
© Künstlerin Maria Rehm
© Viktoria Egg-Rehm, Anita Mair-Rehm, für SAGEN.at
freundlicherweise exklusiv zur Verfügung gestellt
Quelle: Kinder- und Hausmärchen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm), 1812-15, KHM 153