Die entflohenen Weiber
Vor langer Zeit zankten sich zwei schwangere Frauen mit ihren Männern und verließen ihre Familien und Freunde, um allein zu leben. Nachdem sie weit gewandert waren, kamen sie an einen Platz, Igdluqdjuaq genannt, wo sie zu bleiben beschlossen. Es war Sommer als sie ankamen. Sie fanden viel Rasen und Torf und große Walrippen, die am Strande bleichten. Sie errichteten ein festes Gerüst aus Knochen und füllten die Zwischenräume mit Rasen und Torfstücken aus. So hatten sie bald ein gutes Haus, in dem sie leben konnten. Um Felle zu bekommen, machten sie Fallen, in denen sie genug Füchse fingen, um sich daraus Kleider zu machen. Manchmal fanden sie die Leichen gestrandeter Seehunde oder Wale, die an die Küste gespült waren; von diesen aßen sie das Fleisch und verbrannten den Speck. In der Nähe der Hütte war auch ein tiefer, schmaler Renntiersteig; über diesen spannten sie einen Strick, und wenn die Tiere vorübereilten, verwickelten sie sich darin und erwürgten sich selbst. Außerdem war noch ein Bach mit Fischen in der Nähe des Hauses und so waren sie mit reichlicher Nahrung versehen.
Im Winter kamen die Väter der Frauen auf der Suche nach den verlorenen Töchtern. Als diese den Schlitten herankommen sahen, fingen sie an zu schreien, daß sie durchaus nicht gesonnen seien zu ihren Gatten zurückzukehren. Die Männer waren froh sie wohlauf zu finden und nachdem sie zwei Nächte im Haus ihrer Töchter geblieben waren, kehrten sie heim, wo sie die ganz merkwürdige Geschichte erzählten, daß zwei Frauen, ohne jegliche männliche Gesellschaft allein leben und nie Mangel leiden.
Obwohl das schon vor langer Zeit geschehen, kann man das Haus noch sehen
und daher ist der Ort auch Igdluqdjuaq - das reiche Haus - benannt.
Quelle: Eskimomärchen, übersetzt von Paul
Sock, Berlin o.J. [1921], Nr. 31, S. 125.
aus: F. Boas: Central Eskimo (Annual Report of American Ethnology, Vol
VI. Washington 1888).