Die Mutter des Érotas. (Ebendaher.)
Es war einmal ein armes Mädchen, das liebte einen vornehmen jungen Herrn, hatte aber, weil es so arm war, keine Hoffnung, ihn heirathen zu können. Da ging es eines Tags zu der Mutter des Erotas. An ihrer Wohnung angekommen stellte es sich unter ihr Fenster und weinte. Die Mutter des Erotas kam heraus und fragte: 'Was hast du, mein Kind, dass du weinst?' Das Mädchen aber weinte und klagte nur noch mehr, ohne Antwort zu geben. Da sprach die Mutter des Erotas zu ihr - denn sie kannte den Grund ihres Kummers wohl -: 'Liebst du etwa einen, und der ist gleichgültig gegen dich?' - 'Ja,' antwortete darauf das Mädchen tiefbetrübt. Da sprach des Erotas Mutter: 'Weine nicht, mein Kind, ich werde deinen Kummer heilen. Bleib hier, bis mein Sohn zurückkommt, der seit heute Morgen auf den Bergen und in den Thälern umherzieht.' Als nun Erotas zurückkehrte, da sprach seine Mutter zu ihm: 'Mein Sohn, ich möchte dich bitten mir einen Gefallen zu thun.' - 'Ja,' sagte Erotas, und nun trug ihm seine Mutter die Sache vor. Am folgenden Morgen ging Erotas mit Bogen und Pfeilen aus und setzte sich an dem Hause nieder, darin das Mädchen wohnte. Als nun der Jüngling, den es liebte, vorüberkam, schoss Erotas plötzlich seinen Pfeil auf ihn ab, und von dem Augenblicke an ergriff den Jüngling so mächtige Liebe zu dem Mädchen, dass er's zu seinem Weibe nahm.
Quelle: Bernhard Schmidt, Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder. Leipzig 1877. S. 109 - 110.
(Nachdruck: Hildesheim, New York, 1978)