Tischtuch und Goldhuhn. (Ebendaher.)
Es war einmal ein alter Mann, der hatte sein ganzes Leben über brav gelebt. In seinem Alter hatte er daher das Glück, dass ihm sein guter Engel erschien. Der sprach zu ihm - denn er hatte ihn lieb -: 'Ich will dir angeben, wie du glücklich werden kannst. In dem und dem Berge ist ein Loch, da geh hinein und geh immer immer vorwärts, bis du an ein grosses Schloss kommst. Da klopfe an die Thür. Wenn diese sich öffnet, wirst du eine hohe Frau vor dir sehen, die wird dich alsbald bewirthen und nach deinem Alter, deiner Beschäftigung und deinem Befinden fragen. Antworte nur, du seist von mir gesandt, da wird sie das Weitere schon wissen.' Der Alte that so, und die Frau im Innern der Erde gab ihm ein Tischtuch und sagte ihm, wenn er das ausbreite und spreche: 'Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes,' so werde alles, was er sich wünsche, darauf zu finden sein. So war's in der That. Nachdem nun der Alte oftmals davon Gebrauch gemacht, kam's ihm einst in den Sinn, den König in sein Haus einzuladen. Als der das Wundertuch sah, nahm er's dem Alten ab. Allein, da er kein tugendhafter Mann war, so that das Tuch bei ihm seine Wirkung nicht, und er warf es deshalb zum Fenster hinaus, worauf es zu Staub wurde. Der Alte ging nun wieder zu der Frau im Berge, und die gab ihm diesmal ein Huhn, das jeden Tag ein goldnes Ei legte. Als der König davon Kunde erhielt, liess er dem Alten auch das Huhn nehmen. Allein bei ihm legte es nicht, und so warf er auch das Huhn zum Fenster hinaus, worauf es ebenfalls zu Staub ward. In seinem Zorne liess er nun zugleich den Alten greifen und ihm den Kopf abschlagen. Aber kaum war das geschehen, so erschien vor dem König die Herrin über Erde und Meer - das war nämlich die Frau im Berge -, sagte ihm mit kurzen Worten, was für ein Lohn ihn nach diesem Leben für seine Schlechtigkeit erwarte, und stampfte dann mit dem Fusse auf die Erde, die sich aufthat und das Schloss sammt dem König und allem, was darin war, verschlang. Der getödtete Alte aber war ins Paradies eingegangen.
Quelle: Bernhard Schmidt, Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder. Leipzig 1877. S. 114 - 115.
(Nachdruck: Hildesheim, New York, 1978)