2. DIE ERZÜRNTEN ELFEN
Wer nicht beständig in Furcht vor den Geistern lebt, der tut wohl, gewißlich haben sie dann weniger Gewalt über den Menschen; wer aber gar keine Rücksicht auf sie nimmt oder gar nicht an sie glaubt, der handelt sehr unklug, sei es Mann, Weib oder Kind.
Es heißt mit Recht: "An guten Sitten trägt keiner schwer", oder: "Artigkeit kostet kein Geld"; und doch gibt es Menschen, die so verstockt sind, daß sie sich einer Artigkeit schämen. Diese sollten sich an Caroll O'Daly ein Beispiel nehmen. Das war ein junger Bursche aus Connaught, groß und stark gewachsen und in seiner Heimat gewöhnlich Teufel Daly genannt.
Er pflegte von einem Orte zum andern zu ziehen, ohne daß irgendeine Furcht ihn zurückhielt. Er ging zu jeder Stunde der Nacht über einen verfallenen Kirchhof oder sonst einen Platz, wo die Elfen gerne hausten. Auch trat er aus einer Wohnung in die andere ohne das Zeichen des Kreuzes zu machen oder Glück auf! zu sagen.
Es begab sich, daß er einmal in der Grafschaft Limerick umherzog und sich auf dem Weg nach der ehrwürdigen Stadt Kilmallock befand. Gerade am Fuße von Knockfierna erreichte er einen Mann von würdigem Ansehen, der auf einem weißen Pferdchen dahintrabte. Die Nacht war herangekommen und nachdem sie sich gegenseitig mit Artigkeit gegrüßt hatten, ritten sie eine Zeit lang nebeneinander her, ohne viel Worte zu wechseln. Endlich fragte Caroll O'Daly seinen Gefährten, wie weit er noch reite?
"Nicht lange mehr euern Weg", antwortete der Pächter, von dem er das Aussehen hatte, "ich will bloß auf die Spitze dieses Berges."
"Und was treibt Euch in der Nachtzeit dahin?" fragte O'Daly.
"Wenn Ihrs doch wissen wollt", antwortete der Pächter, "das stille Volk."
"Die Elfen meint Ihr?" rief O'Daly.
"Redet leise!" sagte der andere, "oder es könnte Euch übel bekommen." Mit diesen Worten wendete er sein Pferdchen seitwärts nach einem schmalen Pfad, der den Berg hinauf führte, indem er dem Caroll gute Nacht und glückliche Reise an wünschte.
"Der Gesell", dachte Caroll, "hat nichts gutes vor in dieser lieben Nacht und ich wollte darauf schwören, es treibt ihn zu dieser Stunde etwas ganz anderes auf den Berg, als die Elfen oder das stille Volk!"
"Die Elfen!" wiederholte er, "sollte ein vernünftiger Mensch den kleinen Rotkäppchen nachlaufen? einige behaupten wohl, daß es solche Geschöpfe gibt, andere leugnen es. So viel weiß ich aber, daß mich kein Dutzend davon erschrecken sollte, ja keine zwei Dutzend, wenn sie nicht größer sind, als ich sagen höre."
Während diese Gedanken ihm durch den Kopf gingen, richtete er seine Augen beständig auf den Berg, hinter welchem der Vollmond in aller Pracht aufstieg. Er bemerkte auf einer Erhöhung gerade vor der Mondscheibe die schwarze Gestalt eines Mannes, der ein Pferd leitete und zweifelte nicht, daß dies derselbe Mann sei, mit dem er des Weges gekommen war.
Der Entschluß ihm zu folgen fuhr blitzschnell durch seine Seele; Mut und Neugierde zusammen hatten jede Bedenklichkeit verscheucht. Ein Lied vor sich hin brummend stieg er ab, band sein Pferd an einen alten Dornstamm und stieg unerschrocken den Berg hinan. Er folgte dem Pfade in der Richtung, die der Mann mit dem Pferdchen genommen hatte; dann und wann erblickte er ihn wieder und nahm ihn zu seinem Ziel. Beinahe drei Stunden lang stieg er mühsam auf dem rauhen und manchmal sumpfigen Pfad, bis er endlich zu einem grünen Rasen auf der Spitze des Berges gelangte, wo er das Pferdchen in aller Freiheit und Ruhe grasen sah. O'Daly schaute sich rings nach dem Reiter um, er war nirgends zu sehen. Bald aber entdeckte er in der Nähe des Pferdchens eine Öffnung in dem Berg, gleich der Mündung eines tiefen Schachts, und erinnerte sich, in seiner Kindheit manche Erzählung von der schwarzen Höhle des Berges Knockfierna gehört zu haben: sie sei der Eingang zu der Wohnung, welche das stille Volk mitten im Berge innehabe und einmal sei ein Mann, namens Ahern, Landmesser in diesem Teil der Grafschaft, welcher mit einer Schnur versucht habe, die Tiefe der Höhlung zu ergründen, an eben dieser Schnur hinabgezogen worden, ohne daß man je wieder etwas von ihm gehört habe; und manches andere dieser Art. "Das sind alte Weibergeschichten!" dachte O'Daly, "und da ich den weiten Weg gemacht habe, so will ich an die Haustüre klopfen und sehen, ob die Geister daheim sind."
Und ohne sich weiter zu bedenken, faßte er einen gewaltigen Stein, so dick, ja so dick, als seine beiden Hände, und schleuderte ihn mit aller Kraft in die Öffnung. Er hörte, wie er hinabsprang und von einem Felsen zum andern mit gewaltigem Getöse abprallte; er bog sein Gesicht vor, um zu vernehmen, ob der Stein auf dem Grund niederfiele. Aber derselbe Stein, den er hinabgeworfen hatte, kam mit nicht geringerer Gewalt, als er hinunter gesprungen war, wieder zurück und gab ihm einen solchen Schlag ins Gesicht, daß er über Hals und Kopf von einer Klippe zur andern taumelnd, den Berg hinabrollte, viel schneller, als er hinaufgestiegen war.
Am folgenden Morgen fand man Caroll O'Daly neben seinem Pferde liegend, seine Haut war geschunden und zerrissen, die Augen geschlossen und die eingedrückte Nase entstellte ihn auf sein Lebtag.
Anmerkungen:
Knockfierna heißt soviel als: Berg der Wahrheit, des Rechts und diesen Sinn setzt auch die Redensart voraus: "geh nach Knockfierna und du wirst sehen, wer Recht hat!" welche gewöhnlich gebraucht wird, wenn sich jemand durchaus nicht will überzeugen lassen.
Die literary gazette vom 11ten September 1824 erzählt diese Sage auch, doch nicht ganz genau, so wie sie in der Erklärung des Namens irrt, den sie "Berg der Elfen" übersetzt.
Caroll O'Daly ist in den irischen Sagen und Liedern
wohl bekannt, wie überhaupt sein Geschlecht wegen seines Muts und
der Geschicklichkeit in der Bardenkunst berühmt war. Er soll eine
Volksmelodie erfunden und gesungen haben bei einer Begebenheit, welche
in dem Leben von Cormac Common erzählt ist, welches man in Walkers
Abhandlung über die irischen Barden findet. Ein beliebtes irisches
Lied besingt, was ihm an den Ufern des Sees Lean (von Killarney) mit einer
Sheban oder einem weiblichen Geist begegnet ist. Eine andre Erzählung
von ihm in Miss Brooke's Relics of irish poetry p. 13, wovon wahrscheinlich
ein irisches Manuskript vorhanden ist, welches zu der schottischen Ballade
of the Gay Goss Hawk in der Sammlung von Walter Scott (II. 273.) angeführt
wird.
Quelle: Thomas Crofton Croker, Fairy tales and
traditions of the South of Ireland, London 1825;
in der Übertragung der Brüder Grimm, Irische Elfenmärchen,
Jakob und Wilhelm Grimm, Leipzig 1826
The Legend of Knockfierna
[Kockfierna: Called by the people of the country
'Knock Dhoinn Firinne,' the mountain of Donn of Truth. This mountain is
very high, and may be seen for several miles round; and when people are
desirous to know whether or not any. day will rain, they look at the top
of Knock Firinn, and if they see a vapour or mist there, they immediately
conclude that rain will soon follow, believing that Donn (the lord or
chief) of that mountain and his aerial assistants are collecting the clouds,
and that he holds them there for some short time, to warn the people of
the approaching rain. As the appearance of mist on that mountain in the
morning is considered an infallible sign that, that day will be rainy,
Donn is called 'Dona Firinne,' Donn of Truth. "- Mr. Edward O'Reilly]
It is a very good thing not to be any way in dread of the fairies, for without doubt they have then less power over a person ; but to make too free with them, or to disbelieve in them altogether, is as foolish a thing as man, woman, or child can do.
It has been truly said, that "good manners are no burthen," and that " civility costs nothing;" but there are some people foolhardy enough to disregard doing a civil thing, which, whatever they may think, can never harm themselves or any one else, and who at the same time will go out of their way for a bit of mischief, which never can serve them; but sooner or later they will come to know better, as you shall hear of Carroll O'Daly, a strapping young fellow up out of Connaught, whom they used to call, in his own country, " Devil Daly."
Carroll O'Daly used to go roving about from one place to another, and the fear of nothing stopped him; he would as soon pass an churchyard or a regular fairy ground, at any hour of the night, as go from one room into another without ever making the sign of the cross, or saying, " Good luck attend you, gentlemen."
It so happened that he was once journeying, in the county of Limerick, towards " the Balbec of Ireland," the venerable town of Kilmallock; and just at the foot of Knockfierna he overtook a respectable4ooking man jogging along upon a white pony. The night wag coming on, and they rode side by side for some time, without much conversation passing between them, further than saluting each other very kindly; at last, Carroll O'Daly asked his companion how far he was going?
Not far your way," said the farmer, for such his appearance bespoke him; " I'm only going to the top of this hill here."
"And what might take you there," said O'Daly, "at this time of the night?"
"Why then," replied the farmer," if you want to know; 'tis the good people."
The fairies, you mean," said O'Daly.
" Whist I whist!" said his fellow-traveller, " or you may be sorry for it;" and he turned his pony off the road they were going towards a little path which led up the side of the mountain, wishing Carrol O'Daly good night and a safe journey.
That fellow," thought Carroll, " is about no good this blessed night, and I would have no fear of swearing wrong if I took my Bible oath, that it is something else beside the fairies, or the good people, as he calls them, that is taking him up the mountain at this hour. The fairies!" he repeated, " is it for a well shaped man like him to be going after little chaps like the fairies! to be sure some say there are such things, and more say not; but I know this, that never afraid would I be of a dozen of them, ay, of two dozen, for that matter, if they are no bigger than what I hear tell of."
Carroll O'Daly, whilst these thoughts were passing in his mind, had fixed his eyes steadfastly on the mountain, behind which the full moon was rising majestically. Upon an elevated point that appeared darkly against the moon's disk, he beheld the figure of a man leading a pony, and he had no doubt it was that of the farmer with whom he had just parted company.
A sudden resolve to follow flashed across the mind of O'Daly with the speed of lightning: both his courage and curiosity had been worked up by his cogitations to a pitch of chivalry; and, muttering "Here's after you, old boy!" he dismounted from his horse, bound him to an old thorn tree, and then commenced vigorously ascending the mountain.
Following as well as he could the direction taken by the figures of the man and pony, he pursued his way, occasionally guided by their partial appearance: and, after toiling nearly three hours over a rugged and sometimes swampy path, came to a green spot on the top of the mountain, where he saw the white pony at full liberty grazing as quietly as may be. O'Daly looked around for the rider, but he was nowhere to be seen; he, however, soon discovered close to where the pony stood an opening in the mountain like the mouth of a pit, and he remembered having heard, when a child, many a tale about the "Poul-duve," or Black Hole of Knockfierna; how it was the entrance to tbe fairy castle which was within the mountain; and how a man whose name was Ahern, a land-surveyor in that part of the country, had once attempted to fathom it with a line, and had been drawn down into it and was never again heard of; with many other tales of the like nature.
"But," thought O'Daly, "these are old woman's stories; and since I've come up so far, I'll just knock at the castle door and see if the fairies are at home."
No sooner said than done; for, seizing a large stone, as big, ay, bigger than his two hands, he flung it with all his strength down into the Poul-duve of Knockfierna. He heard it bounding and tumbling about from one rock to another with a terrible noise, and he leant his head over to try and hear when it would reach the bottom, - and what should the very stone he had thrown in do but come up again with as much force as it had gone down, and gave him such a blow full in the face, that it sent him rolling down the side of Knockfierna, head over heels, tumbling from one crag to another, much faster than he came up. And in the morning Carroll O'Daly was found lying beside his horse; the bridge of his nose broken, which disfigured him for life ; his head all cut and bruised, and both his eyes closed up, and as black as if Sir Daniel Donnelly had painted them for him.
Carroll O'Daly was never bold again in riding alone near the haunts of
the fairies after dusk; but small blame to him for that; and if ever he
happened to be benighted in a lonesome place, he would make the best of
his way to his journey's end, without asking questions, or turning to
the right or to the left, to seek after the good people, or any who kept
company with them.
Quelle: Thomas Crofton Croker, Fairy tales and
traditions of the South of Ireland, London 1825;