X. Geheime Kräfte und Kunstfertigkeiten
1. Schon aus dem Besitz der Nebelkappe
ergibt sich, daß die Elfen nach Gefallen verschwinden und sich unsichtbar
machen können. Dieser Glaube herrscht überall, wir wollen daher
bloß einige Zeugnisse aus älterer Zeit anführen. Elberich
macht sich dem Otnit, obgleich von keiner tarnkappe in diesem Gedicht
die Rede ist, vielleicht weil er eine Krone trägt, unsichtbar, wie
er will, und Otnit selbst hat ihn nur kraft eines Ringes erblickt. Niemand
kann ihn greifen:
Str. 298. wie sol man gevâhen daz nieman ensihet?
Und doch ist er nicht als ein Schatten, sondern körperlich zugegen. Schön wird diese elfische Gegenwart beschrieben:
Nr. 404. sie sluoc unde roufte sich diu maget minneclich,
dô huop ir die hende der kleine Elberich;
ir minnecliche hende er in die sînen gevie.
diu tohter sprach zuo der muoter: "wir sin niht einec hie
mich hat einez bevangen."
Elberich spricht ungesehen, wie ein Hausgeist tut. Dieser zeigt sich überhaupt nicht gerne und endlich auf vieles Bitten von dem ganzen Körper nichts, als die kleine Hand allein (Deutsche Sagen I. S. 125 und 129.) und ganz übereinstimmend wird von Goldemar erzählt: manus sibi duntaxat pal-pandas praebuit, sed videri negavit et erant manus graciles et molles, ut si quis tangeret murem et ranam.; oder er entfernt sich, wenn man ihn belauscht und erblickt hat, auf immer (Thiele II. 5.). Auch Orthon (bei Froissart) will sich nicht sehen lassen.
2. Vor der Schnelligkeit der Elfen schwindet beinahe der Raum. Die irische Elfenkönigin sprang in einem Satz von einem Berg zum andern drei Stunden weit (s. unten S. 107.) Der Kobold bringt die eine Nacht in Schottland, die andere in Frankreich zu, oder gar in einem andern Weltteil. Der Cluricaun dringt ungehindert durch alle Schlüssellöcher und schwirrt auf einer Binse durch die Luft. Alle neun Welten hat der eddische Zwerg Alvîs durchwandert (Alvismäl IX.).
3. Die Elfen wissen die Zukunft voraus, so gut wie sie wissen, was in der Entfernung geschieht (Deutsche S. Nr. 175.). Sie weissagen (Thiele III. 63) und verkündigen bevorstehendes Unglück; die Bergmännchen klopfen den Bergleuten den Tod dreimal an (Deutsche S. Nr. 37. Vgl. der Klopfer auf Hohenrechberg in Gustav Schwabs Beschreib, der Alb. S. 227.). Auch die Wasserelfen verkündigen in den Nibelungen den Burgunden ihr Geschick. Ebenso weissagt die serbische Vile dem Helden Marco sein Ende. Der Zwerg Alvîs (der Allweise) in der Edda, dessen Name schon seine Eigenschaften verrät, läßt keine Frage des Gottes Tor unbeantwortet; überall ist er gewesen und jedes Ding ihm bekannt.
4. Sie können jede Gestalt annehmen. Häufig zeigen sie sich in menschlicher Größe. Die Nixen, die ans Land steigen und sich unter die Menschen mischen, gleichen den schönsten Mädchen, sind auch wie Menschen gekleidet, nur daß zum Zeichen ihrer Abkunft die Säume ihrer Kleider oder ein Zipfel daran beständig naß bleiben (Deutsche S. Nr. 60.); der Hausgeist fliegt als weiße Feder bei dem Auszug seines Herrn neben dem Wagen her (D. S. I. S. 105. 116.); er entspringt als Marder (S. in.) oder zeigt sich als Schlange (Vgl. Nr. 305.). Jene Elfin auf Tipperary (s. unten 8.104.) wußte den armen Hirten durch die furchtbarsten Gestalten zu erschrecken.
5. Sie teilen übernatürliche Kenntnisse und Kräfte mit. Elberich gibt dem Otnit einen Stein mit den Worten Str. 256. "der lêret dich alle sprâchen", und damit stimmt das Versprechen, das die Elfinnen dem Jüngling tun (Danske V. I. 235.), "Wir wollen dich lehren Runen schneiden, schreiben und lesen"; auch Runcapituli legt den Zwergen die Eigenschaft bei, Runen zu schneiden und aufzulösen. Ein Ring, der die größte Gelehrsamkeit verleiht und den Hütchen schenkt (Deutsche S. Nr. 74.) will nichts anderes sagen. In dem Gedicht von Dieterich und Hildebrand Str. 54. gibt der Zwerg einen Ring, wobei man weder Hunger noch Durst empfindet. Einen andern, der Reichtum zusichert, erhält der Scherfenberger bei Ottokar von Horneck (Cap. 573.).
6. Die Kunstfertigkeiten der Elfen übertreffen alles, was Menschen zu leisten imstande sind. Nach der Edda vermögen sie darin mehr, als die Götter selbst. Sie verfertigen dem Odin den Spieß Gungner, Der Sif das goldne Haar und der Freja die goldne Kette. Das höchst künstliche Schiff Skidbladner, das wie ein Tuch kann zusammengelegt werden, ist ihre Arbeit und als die Götter den Wolf Fenrir binden wollten, sendeten sie eine Botschaft deshalb an die schwarzen Elfen, die dann das Band Gleipner aus wunderbaren Bestandteilen verfertigten. Altdeutsche und nordische Gedichte enthalten häufig Erzählungen von der Geschicklichkeit der Zwerge in künstlicher Schmiedearbeit, von ihnen rühren meist die berühmten Waffen, Rüstungen und Schwerter, in unterirdischen Schmieden gehämmert. Bei Zwergen kommt Wieland in die Lehre (Wilkina-Sage Cap. 20.) und Elberich, der doch ein König ist, hat selbst ein Schwert im Kaukasus geschmiedet (Otnit Str. 122.) und ein Beingewand verfertigt (Str. 124.) und als er geht, dem Kaiser die versprochene Rüstung zu holen, heißt es:
Str. 188. dô huop sich der kleine wider in den berc
dô nam er ûz der essen daz herliche werc.
Die Wilk. S. schreibt ihm die Verfertigung der Schwerter Nagelring und
Eckesar zu und bemerkt bei letzterm ausdrücklich, daß es unter
der Erde geschmiedet sei (Cap. 40.). Auch den irischen Cluricaun hört
man hämmern, er liebt vorzugsweise die Verfertigung von Schuhen,
aber diese wurden vor Alters von Metall gemacht (altnordisch hießen
die Schuhmacher Schuhschmiede), und merkwürdig genug zeigen die Wichtelmänner
in einem Deutschen Märchen (Nr. 39.) dieselbe Neigung, denn was ein
Schuster nur am Tage hat zuschneiden können, das arbeiten sie alles
in der Nacht mit unglaublicher Geschwindigkeit fertig. Welche geschickte
Hand die Elfen in vielen andern Dingen besitzen, davon enthalten die schottischen
Sagen überraschende Beispiele. Was aber in den älteren Überlieferungen
von Elfen und Zwergen erzählt wird, pflegen die jetzigen Kindermärchen
oft von arbeitsamen Tieren, wie Ameisen und andern ausrichten zu lassen,
wie das Gewimmel der Zwerge selbst dem der Ameisen und des Gewürms
verglichen wird.