Die drei Tauben (La tre colombe)
Ein junger Bursche, der Sohn armer Aeltern, war ein gewaltiger Spieler und hatte unerhörtes Glück in jedem Spiele, so dass er in kurzer Zeit sich und seine Aeltern zu reichen Leuten machte. Wo man ihn kannte, wagte es Niemand mehr mit ihm zu spielen; daher ging er immer weiter fort, wo ihn Niemand mehr kannte und gewann immer wieder Geld und Geld. Einmal aber kam er gar weit fort bis in das Land der Heiden, da war eine Stadt und er spielte mit dem Wirthe, wo er eingekehrt war. Nun fing sich das Glück an zu wenden und er verspielte alles Geld, welches er bei sich hatte. Er war voll Zorn und Aerger und nachdem er den lezten Häller verloren hatte, sagte er zum Wirthe [Wirte]: "Nun wollen wir um unsere Seelen spielen." "Es gilt!" erwiederte der Wirth und der Unglückliche verspielte auch seine Seele. Da schauderte ihn und er sank mit erschöpften Kräften zusammen: der Wirth aber sagte zu ihm: "Ich will dich ein Jahr frei und am Leben lassen und du magst während dieser Zeit thun, was dir beliebt; sobald aber der lezte Tag des Jahres gekommen ist, musst du dich bei mir einstellen." Der Wirth war ein Zauberer, der unglückliche Bursche aber hatte dies nicht gewusst.
Traurig ging er nach Hause. Als seine Aeltern sahen, welche Veränderung mit ihm vorgegangen sei, liessen sie nicht ab mit Fragen in ihn zu dringen, bis er ihnen alles erzählte. Sie gaben ihm viel Geld und den Rath, er solle, bevor noch das Jahr aus sei, zu jenem Wirthe reisen und sich loszukaufen suchen. Als elf Monate verflossen waren, nahm er Abschied und begab sich auf die traurige Reise.
Der Weg führte ihn an einem Bildstöckchen vorüber, wo das Bild des hl. Antonius von Padua gemalt war. Er zog seinen Hut ab, kniete hin und betete heiss und innig, der Heilige möge ihm helfen. Daraufging er wieder weiter und begegnete einem Mönche, dem er aber keinen Blick zuwarf. Als er schon vorüber war, rief ihn der Mönch zurück und fragte: "Warum hast du mich nicht gegrüsst?" "Da hätt' ich wol zu thun", erwiederte der andere, "wollt’ ich alle Mönche und Klosterbrüder grüssen, denen ich auf dem Wege begegne." Aber der Mönch sprach: "Ich bin der heilige Antonius, dein Gebet hab' ich vernommen und will dir helfen mit einem guten Rathe. Geh hin in jene Stadt, wo der Zauberer wohnt, an den du deine Seele verloren hast. Vor der Stadt ist eine Brücke, dort finde dich an einem Tage früh morgens ein. Dann gib Acht und es werden drei weisse Tauben kommen und sich im Heckenzaun an der Brücke niederlassen, dort legen sie ihr Gefieder ab und verwandeln sich in Mädchen. Gib Acht, wo die jüngste ihr Gefieder ablegt, dann versteck' es ihr an einer andern Stelle, abends aber finde dich wieder bei der Brücke ein und zeig' es ihr, sobald sie dich bittet und sie wird dich lehren, was du thun sollst." So sprach der Heilige, es umfloss ihn heller Lichtschein und er verschwand: der Jüngling aber zog getröstet seines Weges weiter.
Er kam in die Stadt und dachte: "Erst will ich doch versuchen, ob ich meine Seele nicht durch Geld loskaufen kann." Allein der Wirth wollte davon nichts hören und wies jedes Angebot zurück. Da beschloss der Jüngling den Rath des Heiligen zu befolgen und stellte sich in aller Frühe schon, noch ehe die Sterne am Himmel alle verblichen waren, an der Brücke auf. Als es tagte, flogen wirklich drei Tauben heran in den grünen Heckenzaun, legten dort ihr Gefieder ab und gingen in drei Mädchen von schöner Leibesgestalt verwandelt hinweg. Er hatte genau Acht gegeben, wo die jüngste und kleinste der Tauben ihr Gefieder abgelegt hatte, suchte es und versteckte es an einem andern Orte. Abends kam er wieder zur Brücke und als es Nacht wurde, kamen auch die drei Mädchen wieder. Die zwei ältern verwandelten sich sogleich in Tauben und flogen hinweg, die jüngste aber stand unschlüssig da, denn sie konnte ihr Gefieder nicht mehr finden. Da trat er hinzu und sagte: "Ich weiss, was Ihr suchet und wo es ist und will es Euch zeigen, aber Ihr sollt mir dafür auch einen Gefallen thun." "Das thu' ich gern", erwiederte sie freundlich, "sprich nur, was drückt dein Herz!" Da erzählte er ihr Alles und bat sie um Hilfe und Rath. "Ei, wie sich das trifft", sagte sie, "wisse, dass wir drei Schwestern die Töchter jenes Wirthes sind, welcher deine Seele im Spiele gewonnen hat. Aber ich will dir helfen, denn wir haben aus den Zauberbüchern des Vaters Dinge gelernt, welche sonst den Menschen unmöglich scheinen. Geh hin, der Vater wird dich nicht gleich tödten, sondern dir zuerst drei schwere Aufgaben stellen, die du lösen musst; dann wirst du frei werden. Sobald du die erste Aufgabe erhalten hast, komm in unsere Wohnung und sag' es mir, so will ich dir helfen und dich wol frei machen; aber sprich mit keinem Menschen ein Wort über unser Einverständnis.“ Der Jüngling dankte ihr herzlich und gab ihr das Gefieder, worauf sie sich verwandelte und als Taube von dannen flog.
Es verging etwa noch eine Woche, da war das Jahr aus und der Zauberer sprach zum Jünglinge: "Nun ist mir deine Seele verfallen und ich kann dich tödten, wenn ich will. Doch will ich dir zuvor noch drei Aufgaben stellen; bist du im Stande, sie zu lösen, so sollst du frei und wieder dein eigen sein. Siehst du jenen unfruchtbaren felsigen Hügel dort? Nun will ich, dass derselbe bis morgen früh in eine schöne Ebene verwandelt sei. Das ist aber nicht genug, es soll auch schöner Roggen darauf stehen und zeitig sein. Es ist aber noch nicht genug, der roggen soll auch geschnitten und in Garbenhaufen aufgerichtet sein. Find' ich's morgen früh so, dann hast du die erste Aufgabe gelöst und den ersten Schritt zu deiner Befreiung gethan." Der Jüngling sagte nicht Ja und nicht Nein und liess den Kopf hängen, der Zauberer aber lächelte höhnisch und dachte, der andere werde diese Arbeit gewiss nicht vollbringen können.
Als es Nacht wurde, ging der Jüngling in die Wohnung der drei Schwestern und fand die jüngste: denn sie wusste es schon und war heute zu Hause geblieben. Als sie die erste Aufgabe vernommen hatte,
lächelte sie und sagte: "Wenn es nur das ist, so sei unbekümmert und geh ruhig schlafen; bis morgen früh soll es geschehen sein."
Er ging schlafen, aber er trug doch Zweifel und Angst und dachte: "Vielleicht ist's meine lezte Nacht!" Kaum tagte es, so blickte er beklommen zum Fenster hinaus und sieh! — der Berg war fort und es lag dort ein schönes Feld voll Roggen, der war schon geschnitten und es standen eine Menge hoher Garbenhaufen über die ganze Ebene hin zerstreut. Nun war er froh; als es aber der Zauberer sah, machte er ein bitteres Gesicht und sprach: "Du kannst auch mehr als Brot essen. Die erste Aufgabe hast du gelöst, nun sollst du die zweite haben." Darauf führte er den Jüngling auf eine andere Seite des Hauses, da lag unter den Fenstern ein grosser See, aus dessen Mitte ein steiler Felsen himmelhoch emporragte. "Dieser Felsen", sprach der Zauberer, "ist mir sehr unbequem, denn er nimmt meinem Hause auf dieser Seite die Morgensonne weg. Darum verlang' ich, dass du mir denselben bis morgen früh, wohin du immer willst, fortschaffest und dies soll deine zweite Aufgabe sein."
Als es Nacht wurde, ging der Jüngling abermals zur jüngsten Schwester und sagte es ihr. Da sprach sie: "Diese Aufgabe ist schwerer, aber mit meinen Zauberbüchern kann ich sie lösen. Nimm ein Schwert und einen leeren Wassereimer und geh damit zum See hinab; ich werde bald nachkommen." Er nahm es und ging zum See hinab. Bald kam sie auch und sagte: "Nun schlag mir den Kopf ab, sieh aber wol zu, dass kein Bluttropfen auf den Boden falle." Da zagte er und sprach: "Wie kann ich es thun und einem so schönen Mädchen das Leben nehmen? Lieber will ich selbst sterben!" "Thu, was ich dir sage", erwiederte sie, "in wenigen Minuten wirst du mich wieder sehen." Da schlug er ihr den Kopf ab und das Blut floss in den Eimer, aber drei Tropfen sprizten hinaus und fielen in den See: darauf sah er nichts mehr von ihr. Er war traurig und klagte: "0 weh, was hab' ich gethan! Nun sind wir vielleicht beide verloren!'' Er wartete, allein sie kam nicht. Es fing schon an zu tagen, da gab er die Sache verloren und wollte fortgehen. Aber nun kam sie durch die Luft geflogen und sagte: "Wegen der drei Blutstropfen hast du mir die Sache fast unmöglich gemacht, aber nun ist's mir doch gelungen." Er dankte ihr herzlich und als er auf den See blickte, ward ihm das Herz vollends wieder leicht, denn der hohe Felsen war verschwunden und in der Tiefe des Sees versunken, dass man keine Spur mehr davon sah.
Der Zauberer war auch höchlich befriedigt, als am Morgen die Sonne zum ersten Mal auf sein Haus schien und der ganze See so hell schimmerte, als sei er ein Flammenmeer. "Weil du zwei so schwierige Aufgaben gelöst hast", sagte er, "soll dir die dritte leichter werden. Wisse, dass in meinem Stalle fünf Pferde stehen; davon ist eines so wild, dass meine Diener es nicht wagen dürfen ihm nahe zu kommen und ihm sein Futter von oben hinabwerfen müssen. Wenn du nun auch dieses Pferd bis morgen früh zähmst, so hast du alle Aufgaben gelöst und bist wieder frei."
Der Jüngling ging, als es Nacht wurde, wieder zur jüngsten Schwester. Sie gab ihm ein Stäbchen voll Knoten und sagte: "Schlag damit dem Pferde dreimal auf den Rücken, dann wird es zahm, du aber hast deine Aufgaben gelöst. Dann wird dich der Vater zu uns führen und dich fragen, welche du heiraten willst. Wähle mich, denn ich hab' es um dich verdient, dass du mich liebest, wie ich dich liebe — willst du?" Er war ganz glücklich und bejahte ihre Frage mit grosser Freude. "Ich aber", fuhr sie fort, "werde mich stellen, als wolle ich nichts davon wissen und werde dich sogar schmähen; lass dich jedoch nicht irre machen und beharr' auf deinem Wunsche." Er versprach es und ging. Sachte schlich er in den Stall, wo das wilde Pferd lag und schlug ihm schnell mit dem Stabe dreimal auf den Rücken. Am Morgen führte er es vor den Zauberer und es war so zahm, dass es sich leiten und lenken liess, wie ein Lamm. Da sagte der Zauberer: "Nun bist du frei und kannst nach Hause gehen: wenn du aber einwilligst, so geb' ich dir eine meiner drei Töchter zur Frau." Der Jüngling erwiederte: "So lass mich selbe sehen." Der Zauberer führte ihn zu seinen Töchtern und fragte: "Welche willst du haben?" Der Jüngling trat auf die jüngste zu und sagte: "Diese wähl' ich mir!" Da fing sie an zu weinen, war zornig und schmähte ihn, der Zauberer aber gebot ihr Stillschweigen und sagte: "Dieser Mann ist dein Gemal!" Nun schwieg sie verdrossen und stellte sich traurig; sobald sie aber mit ihrem Bräutigam allein war, hing sie sich an seinen Hals, küsste ihn und rief voll Wonne: "0 mein süsses Glück! 0 mein neues Leben !"
Nachdem die Hochzeit gehalten und schon einige Wochen vorüber waren, offenbarte er einmal abends seiner jungen Frau den vertraulichen Wunsch doch auch seine Aeltern besuchen zu können. Da sagte sie: "Aber nimm mich auch mit und lass mich nicht allein zurück!" "Wie sollt' ich mich von dir trennen, mein herzallerliebstes Weib!" erwiederte er und gab ihr einen Kuss. "Wisse", fuhr sie fort, "dass der Vater mir nie erlauben wird, in dein Land zu reisen; aber ich bin der Zauberei müde und möchte für immer in deiner Heimat bleiben und dort als Christin wohnen. Wir wollen sogleich flüchten, noch in dieser Nacht; geh hinab in den Stall und suche dort das magerste Pferd aus, denn es ist das schnellste und wirf ihm den Satel! auf. Dann führ' es vor die Thüre, damit wir beide aufsteigen und fliehen." Er willigte voll Freude ein und ging in den Stall hinab; als er jedoch das Pferd so mager sah, dachte er: "Wie soll doch dieses Pferd so schnell sein, es bricht ja gewiss nach einigen Schritten schon zusammen." Er nahm das schönste und fetteste, sattelte es und führte es an die Thüre; dort stund sie schon bereit und schwang sich in den Sattel. Er aber sprang hinter ihr hinauf und fort ging es eiligst durch die Stadt hinaus auf die freie Ebene. "Aber was hast du doch gethan?" sagte sie; "du hast ja das fetteste Pferd genommen statt des magern." "Wie soll das arme Thier uns beide tragen können, es ist ja nur Haut und Bein!" erwiederte er. "Du irrst", versetzt sie, "jenes magere Pferd läuft in einer Stunde hundert Meilen weit, dieses hier aber viel weniger. Gewiss wird uns der Vater verfolgen lassen und ich muss auf Mittel sinnen, in welcher Gestalt wir uns verbergen können; denn weh uns, wenn er uns erreicht!"
Sie hatte sich nicht getäuscht. Als der Zauberer am Morgen die Flucht entdeckte, befahl er sogleich einem Diener, das magere Pferd zu besteigen und seine Tochter sammt ihrem Manne mit Gewalt zurückzuführen. Der Diener gehorchte und ritt fort. Als die junge Frau merkte, dass er komme, verwandelte sie ihren Mann und das Pferd schnell in einen Garten, sich selbst aber in eine alte Gärtnerin, die ging im Garten herum von Beet zu Beet. Der Diener kam und fragte sie: "Hast du nicht einen Mann und eine Frau vorbeireiten gesehen ? Sie aber rief: "Kauft schönen Salat, kauft schönen Kohl!" Er wiederholte die Frage, sie aber rief wieder: "Kauft schöne Rettiche, kauft schöne Früchte, Aepfel, Birnen, Feigen!" Da dachte er: "Die Alte da ist taub!" — kehrte um und ritt nach Hause. Sie aber verwandelte alles wieder und sie setzten die Flucht fort. "Gewiss wird der Vater einen zweiten Diener nachsenden", sagte sie; "ich will jedoch schon wieder auf ein Mittel denken, ihn zu täuschen."
Der Diener kam nach Hause und berichtete, dass er nichts gefunden habe. Der Zauberer ward zornig, schalt ihn und befahl einem andern Diener aufzusitzen und den Flüchtigen nachzureiten. Als die Frau merkte, dass dieser komme, verwandelte sie Ross und Mann schnell in einen See voll Fische, sich selbst aber in einen alten Fischer, der stand am Ufer und angelte. "Hast du nicht einen Mann und eine Frau vorbeireiten sehen?" fragte der Diener. "Kauft Fische, kauft schöne Fische!" rief der Fischer. Der Diener wiederholte seine Frage, erhielt aber keine andere Antwort. "Der Alte da ist taub!" dachte er und kehrte um. Nun nahmen sie ihre rechte Gestalt wieder an und ritten weiter. "Jezt wird noch der Vater selbst nachreiten," sagte sie, "aber ich will ihn auch täuschen."
Als auch der zweite Dicnei' unverrichteter Sache heim gekommen war, sezte sich der Alte selbst aufs Pferd und ritt aus. Als die Frau merkte, dass er komme, verwandelte sie Ross und Mann schnell in eine Kirche, sich selbst aber in einen Geistlichen, der stand unter der Kirchthüre und schaute nach rechts und nach links. Da kam der Zauberer und fragte: "Habt Ihr nicht einen Mann und eine Frau vorbeireiten gesehen?" Der Geistliche aber erwiederte: "Ihr kommt mir eben recht, ich will Messe lesen und habe keinen Diener; steigt doch ab und kommt!" Der Zauberer aber dachte: "Da bin ich schon im Lande der Christen; es ist besser, ich reite heim!" Dacht' es, wandte sein Pferd und ritt nach Hause. Darauf verwandelte sie wieder die Kirche und sich selbst in die rechte Gestalt und sie ritten weiter bis in einen grossen dichten Wald, an dessen Rande das heimatliche Dorf des jungen Mannes lag. Da sprach sie: "Nun geh' allein heim; ich bleibe hier und will mir einen grossen Palast herzaubern und das soll mein leztes Zauberstücklein sein. Morgen kehre zurück, dann wollen wir fürder glücklich hier leben, denn ich will meine Zauberbücher verbrennen und eine Christin werden. Aber lass dich von Niemanden küssen, sonst verlierst du die Erinnerung und wirst mich nicht wieder erkennen."
Nun ging er allein nach Hause. Als er in die Stube trat, sprangen seine Aeltern und seine Geschwister voll freudiger Ueberraschuug auf, eilten auf ihn zu und wollten ihn umarmen und küssen; aber er entzog sich den Umarmungen und liess sich nicht küssen. Nun sezten sie sich um den Tisch und er vorkündete ihnen, dass er sich befreit habe, allein er sagte ihnen nicht wie, so dass sie nichts anderes erfuhren, als dass er seine Seele wieder gewonnen habe. Sie dachten aber: "Er ist müde und will es uns heute nicht mehr sagen; morgen wird er es uns schon erzählen." Und sie gingen für diese Nacht alle erfreut zu Bette.
In der Nacht schlich seine Mutter in die Kammer, wo er schlief und als sie ihren geliebten wieder gefundenen Sohn so süss schlummernd da liegen sah, beugte sie sich über ihn und gab ihm einen Kuss, ohne dass er erwachte. Als er nun am Morgen aufstand, hatte er alle Erinnerung verloren und meinte, er sei immer zu Hause gewesen. Und so oft die andern in ihn drangen, er möge ihnen doch erzählen, wie er seine Seele vom Wirthe wieder gewonnen habe, lachte er und sagte: "Was Wirth? Was Seele? Ich glaube, ihr faselt oder wollt mich zum Besten haben." Da waren seine Aeltern und Geschwister betrübt und sprachen unter sich: "Der Arme, seine Seele hat er gewonnen, aber seinen Verstand hat er verloren, denn er redet irre." Er aber griff nach seinem Gewehre und ging auf die Jagd.
Als er in den Wald kam und den prächtigen Palast sah, war er ganz erstaunt. "Ei, wie ist denn dieses herrliche Schloss hieher gekommen", sagte er, "erinnere ich mich doch nicht es je gesehen zu haben." Er ging hinein und seine Frau trat ihm entgegen. "Kommst du endlich", rief sie, "ich habe dich schon lang erwartet!" Da sah er sie befremdet an und dachte: "Wie mag doch diese Frau so mit mir sprechen, hat sie mich ja nie gesehen!" Sie aber merkte sogleich, was geschehen sei, sagte weiter kein Wort und bewirthete ihn treulich, bis es Nacht wurde. Dann sagte sie: "Heute kannst du nicht mehr nach Hause gehen, bleib hier, ich will dir ein Zimmer und ein gutes Bett anweisen." Er war dessen zufrieden und als er darauf schlafen zu gehen verlangte, führte sie ihn in die Küche, wo ein Brunnen war, und sagte: "Nimm dir in einem Glase frisches Wasser mit, damit du zu trinken hast, wenn du in der Nacht etwa Durst bekommst." Er nahm das Glas und wollte es füllen, aber er war es nicht im Stande. "Was ist doch das?" sagte er ganz erstaunt. Sie aber nahm ihm das Glas aus der Hand, füllte es und sagte: "Sieh nur her, wie leicht es ist!" Darauf ging er zu Bette und schlief die ganze Nacht hindurch auf das Beste.
Am nächsten Tage streifte er im Walde herum, abends ging er aber wieder in das Schloss und bat die Frau um Nachtherberge. Sie bewirthete ihn wieder prächtig; dann gab sie ihm ein Licht und sagte: "Geh nur hinauf in das Zimmer, wo du die lezte Nacht geschlafen hast; schliess aber die Thüre zu, damit Niemand hinein komme." Er ging und wollte die Thüre schliessen, allein er war es nicht im Stande und kam zur Frau zurück, um es ihr zu sagen. Sie ging mit ihm hinauf und sprach: "Sieh nur her, wie leicht dies ist!" — und schloss die Thüre zu. Nun legte er sich zu Bette und schlief wieder die ganze Nacht hindurch auf das Beste.
Am dritten Tage jagte er abermals im Walde. Abends begab er sich wieder in das Schloss; die Frau empfing ihn freundlich und trug ihm eine reichliche Abendmalzeit auf. Als er schlafen gehen wollte, sagte sie: "Schliess' die Fenster deines Zimmers wol zu, denn die Nachtluft ist kühl und schädlich." Er ging und wollte die Fenster schliessen, allein er war es wieder nicht im Stande. Sie aber stand schon hinter ihm und sagte: "Sieh nur, wie leicht es ist!" — und schloss die Fenster. Da sagte er voll Staunen: "Aber was soll das nur bedeuten? Erst war ich nicht im Stande, das Glas zu füllen und gestern und heute vermochte ich die Thüre und die Fenster nicht zu schliessen? Was ist doch das?" Darauf sah sie ihn scharf an und sprach: "Das ist wegen der drei Blutstropfen im See!" Da war er wie aus den Wolken gefallen und stand sprachlos da, denn langsam und allmählig kehrte ihm die Erinnerung an alles Vorgefallene wieder. Nun erkannte er seine Frau, umarmte sie und bat sie, ihm Alles vergeben zu wollen. "Meine Mutter muss mich geküsst haben, als ich schlief!" sagte er und seine Frau verzieh ihm gerne; denn die Liebe verzeiht ja Alles.
Nun blieben sie immerdar im Schlosse und richteten sich gemächlich ein; die Frau verbrannte ihre Zauberbücher und ward eine Christin. Seine Aeltern und seine Geschwister kamen auch oft zu ihnen und sie lebten alle in Liebe und Freundschaft und Eintracht. Wenn du aber, lieber Leser, heute etwa in selbigen Wald kommst und die Ruinen einer alten Burg siehst, so bleib stehen und erinnere dich an diese Geschichte; denn dort haben die beiden glücklichen Gatten einst gewohnt, wenn auch schon lange Gras gewachsen ist über den Schutt und über die ungekannten Gräber der schönen bekehrten Heidin und ihres glücklichen Gatten, des unglücklichen Spielers. —
Quelle: Märchen und Sagen aus Wälschtirol,
Ein Beitrag zur deutschen Sagenkunde, gesammelt von Christian Schneller,
Innsbruck 1867, Nr. 27, Seite 71
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, 2007.
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