Die Liebe der drei Pomeranzen (L'amor dei tre aranci)
Ein König und eine Königin hatten einen einzigen Sohn. Er hatte bereits das Jünglingsalter erreicht und war ebenso von schöner einnehmender Gestalt wie von der edelsten Güte des Herzens. Die Königin warf wol schon ihr Auge auf diese oder jene Prinzessin und sprach vom Heiraten, allein der König sagte immer: "Lass deine Gedanken; unser Sohn wird schon heiraten, sobald er vollends Mann geworden ist. Er wird die rechte Braut schon selbst finden."
Einmal spielte der Prinz vor dem Schlosse Ball und der Zufall wollte, dass der Ball auf das Fenster eines Häuschens flog, worin eine Hexe wohnte, und ihr einen Milch topf zerbrach. Obwol der Prinz sich bei derselben artig entschuldigte, war sie doch ungehalten und rief ihm zu: "Wolan, stolzer Prinz, du sollst keinen Frieden mehr haben, bevor du nicht die Liebe der drei Pomeranzen gefunden hast."
Nach dieser Zeit war der Prinz immer traurig und hatte wirklich keine ruhige Stunde mehr, denn die Worte der Alten lagen ihm stets im Sinne und verdarben ihm jede Unterhaltung und sogar den Schlaf. Endlich bat er seine Aeltern um die Erlaubniss, in die Welt gehen zu dürfen, um die Liebe der drei Pomeranzen zu suchen. Sie bemühten sich lange ihn zurückzuhalten; als sie aber sahen, dass der Prinz immer trauriger wurde, liessen sie ihn ziehen.
Noch war er nicht weit vom Schlosse, du begegnete er einem alten Weiblein. Sie sah ihn scharf an und sagte: "Edler Jüngling, in Euern trüben Augen und auf Euern blassen Wangen les' ich, dass Ihr einen schweren Kummer auf dem Herzen habt." Der Prinz liess sie nicht lange fragen, sondern erzählte ihr sogleich alles; am Ende fragte er sie, wo er denn die Liebe der drei Pomeranzen finden könne. .,Da braucht ihr nicht weit zu gehen," erwiederte die Alte; "seht Ihr dort jenes Schloss? Darin ist ein Zimmer und in dem Zimmer steht ein Kasten und in einer Schublade dieses Kastens liegen die drei Pomeranzen. Um aber hinein zukommen, benöthigt lhr einige Dinge, die ich Euch wol geben kann, wenn Ihr wollt." Und sie gab ihm Fleisch, Brot, einen Besen und ein Fläschchen mit Oel und wünschte ihm freundlich viel Glück; er aber dankte ihr und ging weiter.
Bald kam er zum Schlosse, da stürzte ein Rudel hungriger Hunde zähnefletschend und mit wüthendem Geheule auf ihn los, aber er beschwichtigte sie, indem er ihnen das Brot vorwarf. Noch war er keine zwanzig Schritte weiter gegangen, als eben so viele grosse hungrige Katzen mit feuersprühenden Augen auf ihn lossprangen, aber er beschwichtigte auch diese, indem er ihnen das Fleisch zuwarf. Nun war er an der Stiege, die war aber so voll Staub und Unrath, dass er mit dem Besen Stufe um Stufe abkehren musste, um hinaufzukommen. Oben gelangte er zu einer Thüre und suchte vergebens sie zu öffnen; denn sie war ganz eingerostet. Da nahm er das Fläschchen und bestrich die Angeln und das Schloss mit Oel, worauf er sie leicht öffnen konnte. Nun war er in einem grossen Zimmer und an der Wand stund ein Kasten, da zog er die Schublade heraus und fand die drei Pomeranzen. Er hatte grosse Freude, aber vom Wege war er durstig geworden und wollte sich erquicken. Er brach daher die erste Pomeranze auf und zu seinem freudigen Schrecken erstand daraus vor seinen Augen eine so schöne Jungfrau, wie sie selten ein Auge sehen kann.
"Mein Lieb, mein Lieb
Mir zu trinken gib!"
flehte sie und er erwiederte:
"Mein Lieb mein Lieb
Wasser hab' ich nicht!"
Darauf seufzte sie:
"Mein Lieb mein Lieb
Mein Herze bricht!"
Und sie starb vor seinen Augen wie eine schöne Blume, welche vom Hauche der Flamme berührt verwelkt.
Da wurde er traurig, tröstete sich aber damit, dass ihm noch zwei Pomeranzen geblieben waren. Er erinnerte sich, dass unten im Hofe unter einem Baume ein Brunnen floss und dachte: "Wenn aus der zweiten Pomeranze wieder eine Jungfrau erstellt und diese wieder zu trinken verlangt, so trag' ich sie schnell zum Brunnen hinab."
Er brach nun die zweite Pomeranze auf und daraus erstand wieder eine Jungfrau noch schöner als die erste.
"Mein Lieb mein Lieb
Mir zu trinken gib!"
bat sie. Da fasste er sie in die Arme und eilte die Stiege hinab; doch als er zum Brunnen kam, war sie in seinen Armen schon todt und blieb todt, so viel er sie auch mit Wasser benetzte.
Da brachen Thränen des Schmerzes aus seinen Augen, allein der Gedanke, es sei ihm noch eine Pomeranze geblieben, liess ihn nicht lange weinen. Er ging und trug die dritte Pomeranze zum Brunnen herab; dann brach er sie auf und hervor kam wieder eine Jungfrau noch viel schöner und herrlicher als die beiden ersten.
"Mein Lieb mein Lieb
Mir zu trinken gib!"
flehte sie und er gab ihr schnell das frische Wasser. Da war die Jungfrau gerettet und sie setzten sich nun am Brunnen nieder und koseten. Er erzählte ihr, wer er sei und dass er sie noch heute als seine Braut in das königliche Schloss heimführen wolle. "Aber", fügte er bei, "ich will mit Wagen und Pferden und Dienerschaft kommen; steig einstweilen auf diesen Baum und warte, bis ich komme." Sie stieg auf den Baum und er eilte fort, um Wagen und Pferde zu holen.
Nahe beim Schlosse wohnte eine alte Hexe, die hatte eine hässliche Tochter, welche immer zum Schlossbrunnen ging um Wasser zu schöpfen. Der Prinz war noch nicht lange fort, da kam sie wieder, blieb am Brunnen stehen und blickte in das spiegelhelle Wasser. Darin sah sie das Antlitz der schönen Jungfrau, welche auf dem Baume war und meinte anfangs ihr eigenes Gesicht zu sehen. "Ei, wie schön bin ich doch heute!" sagte sie mit selbstgefälligem Lächeln. Da aber grinste ihr auch das eigene hässliche Gesicht aus dem Wasser entgegen und mit Schrecken ward sie ihres Irrthums gewahr. Sie blickte auf den Baum und als sie die schöne Jungfrau sah, lief sie eilig weg um ihre Mutter zu holen. Diese kam und mit grosser Freundlichkeit luden sie die Jungfrau ein herabzusteigen. Sie stieg herab und liess sich sogar bewegen in das Häuschen der Hexe zu kommen. Die beiden Hexen ahnten gleich, dass die Jungfrau die Braut des reichen Königssohnes sei und es gelang ihnen durch Schmeicheleien aller Art die Jungfrau dahin zu bringen, dass sie arglos ihnen alles erzählte. Beide zeigten die grösste Freude und endlich lud die alte Hexe die Jungfrau ein sich von ihr kämmen zu lassen. Lange widerstrebte dieselbe, doch endlich fügte sie sich in den Wunsch der freundlichen Alten. Kaum aber hatte die Hexe ihr Haupt berührt, als sie ihr eine Nadel in den Kopf stiess, so dass die Jungfrau in eine Taube verwandelt wurde und zornig girrend sogleich von dannen flog. Nun hiess die Alte ihre Tochter zum Brunnen gehen und auf den Baum steigen, um den Königssohn zu erwarten.
Bald kam der Prinz mit schönen Wagen und Pferden, liess sie anhalten und eilte zum Baume am Brunnen, um seine Braut abzuholen. Aber wie erschrack er! "0 wie hässlich bist du geworden!" rief er unmuthsvoll. "Die Sonne hat mich so verbrannt", antwortete die junge Hexe. Fast hätte er sie auf dem Baume sitzen gelassen, aber als Mann wollte er sein Wort nicht brechen und fuhr sehr verstimmt mit ihr nach Hause. Auch seine Aeltern staunten, als sie statt der geschilderten Schönheit so vielHässlichkeit erblickten. "Sie wird aber gut und edel sein", sagten sie und setzten den Tag für die Hochzeit fest.
Dieser Tag kam und mit ihm kamen viele Fürsten und edle Herren als Gäste. Während sie beim Mahle sassen, steckte der Koch in der Küche ein grosses Stück Braten an den Spiess und machte ein gutes Feuer dazu. Da pickte eine Taube an's Fenster und rief:
"Koch lieber Koch ach mein,
Schlaf doch beim Feuer ein,
Verbrennen soll der Braten am Spiesse,
Dass nicht der Hexe Tochter davon geniesse!"
Und der Koch sass am Herde und schlief. Den Gästen aber ward innen allmälig die Zeit lang, weil nichts mehr auf den Tisch kam und sie gingen heraus, um nachzusehen. Sie weckten den Koch und dieser erzählte, was vorgefallen war; der Braten aber war inzwischen richtig so verbrannt, dass der Geruch davon durch das ganze Schloss drang. Sie liessen die Taube herein, die setzte sich freudig girrend dem Prinzen auf die Schulter und dieser trug sie auf den Händen in den Speisesaal, wo sich alle wieder zu Tische setzten. Die Taube aber sah mit den klugen Aeugelein den Prinzen so sanft an, als wollte sie reden, während die Tochter der Hexe zornig war und dem Prinzen ein über das andere Mal zurief: "Ei, lass doch das garstige Thier und jag' es fort!" Der Prinz that ihr jedoch den Gefallen nicht und streichelte die Taube unter vielen Liebkosungen. Wie er ihr aber mit der Hand über das Köpfchcn fuhr, fühlte er etwas hartes und sah, dass es der Kopf einer Nadel sei. "Ach, du armes Thierchen!" sagte er mitleidig und zog behutsam die Nadel wieder heraus. In demselben Augenblicke lag die schöne Pomeranzenjungfrau in seinen Armen, er erkannte sie sogleich und sprang vor Freude auf, während die hässliche Tochter der Hexe entfloh.
Aber die Flucht half ihr nichts; denn schon am nächsten Tage loderte ein grosser Scheiterhaufe vor dem Schlosse auf dem Platze und ward darauf unter dem Jubel des Volkes die böse Hexe mit ihrer Tochter zu Asche gebrannt. Am dritten Tage feierten der Prinz und die schöne Jungfrau ihre Hochzeit; sie waren glücklich und hatten sich innig lieb durch ihr ganzes langes Leben. —
Quelle: Märchen und Sagen aus Wälschtirol,
Ein Beitrag zur deutschen Sagenkunde, gesammelt von Christian Schneller,
Innsbruck 1867, Nr. 19, Seite 38
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, 2007.
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