Graf Martin von der Katze (II conte Martin dalla gatta)
Ein armer Vater hinterliess beim Sterben seinen beiden Söhnen nichts als eine Bank und eine Katze. "Theilt [teilt] euch in das kleine Erbe", hatte der Vater noch gesagt, als ihm schon die Augen zufielen; "ein Streit kann hierüber zwischen euch doch nicht entstehen." Da sagte der ältere: "Ich nehme die Bank; wenigstens kann ich mich doch darauf setzen und ausruhen, so oft ich will." "Und ich nehme die Katze'', sprach der jüngere welcher Martin hiess, "sie ist mir ohnehin anhänglich und läuft mir überall nach."
Beide gingen auf verschiedenen Wegen in die Welt. Der Aeltere trug die Bank mit sich und so oft er müde war, sezte er sich darauf und ruhte aus. Martin aber zog mit seiner Katze seines Weges und hatte alle Ursache sich seiner Wahl zu freuen. So oft er Hunger hatte, ging die Katze in die Häuser, wo eine Tafel gedeckt war und trug vor den Augen der erstaunten Leute Speisen weg, um sie ihrem Herrn zu bringen, so dass es ihm nie an Essen und Trinken fehlte. Aber auch für seine Kleidung sorgte sie, indem sie bald da bald dort ein schönes Stück Gewand erhaschte und ihm brachte, so dass er gekleidet war, wie ein rechter Herr. Desshalb sagte auch die Katze zu ihm: "Wenn die Leute dich um den Namen fragen, so antwort' ihnen, du heissest Graf Martin von der Katze." Das war ihm ganz lieb und recht; "hätt' ich's mir doch nie träumen lassen", sagte er lachend zu sich selbst, "dass ich durch meine liebe Katze auch noch ein Graf werden sollte."
Eines Tages kamen sie auf eine weite Ebene. Da waren gar schöne grüne Wiesen und Felder und sie fragten die Leute, wem dieselben gehörten. "Diesem und diesem Grafen", antworteten sie. Und sie kamen weiter, da stunden wieder schöne Wälder, dann waren wieder schöne Weiden da mit vielen Herden und Hirten und so oft sie fragten, gehörte alles nur jenem Grafen. Endlich kamen sie zum Schlosse, wo der alte reiche Graf selbst mit seiner Frau wohnte und erhielten die gewünschte Aufnahme. Als nun der alte Herr in den Keller ging, um Wein zu holen, nahm dieKatze die Gelegenheit wahr, schlich ihm nach und erdrosselte ihn im Keller. Dann kam die Frau des Grafen, um nachzusehen, was ihr Mann so lange im Keller thue; da sprang die Katze auf sie und erwürgte sie auch. Nun ging sie hinauf und sagte zu ihrem Herrn: "Die beiden Alten unten im Keller sind todt, jezt bist du der Herr des Schlosses und sollst dich als solcher benehmen; das Weitere überlass nur mir." Dann sprang sie vor das Schloss hinaus durch Felder und Wiesen und Wälder und überall, wo sie Mähder, Holzfäller oder Hirten antraf, rief sie ihnen zu: "Der alte Graf und seine Frau sind todt und haben meinen Herrn, den Grafen Martin von der Katze als ihren Erben eingesezt; der ist jezt euer rechter Herr und lässt es euch durch mich ankünden, damit ihr seinen Namen wisst und fürder ihm allein gehorcht!" Ueberall aber antworteten die Leute: "Eure Diener, Frau Katze und wenn unser alter Herr gestorben ist, so ist er wol gestorben: es lebe unser neuer Herr!"
Graf Martin von der Katze hatte nun das herrlichste Leben von der Welt. Eines Tages kam auch sein Bruder in das Schloss, der trug noch immer die Bank mit sich und war blutarm geblieben. Martin, der von ihm nicht mehr erkannt wurde, nahm ihn bestens auf und sezte ihn als Maier auf einen schönen Hof, wo auch er das beste Leben hatte und auf seiner Bank sitzen konnte, so oft er wollte.
Nach einiger Zeit sagte die Katze zu ihrem Herrn: "Ich fühle, dass ich alt werde und dass es mit mir zu Ende geht. Da ich dir aber zu so grossem Glücke verholfen habe, so sei mir dankbar, lass mich geziemend begraben und mir ein schönes Denkmal setzen, ich hab' es wol verdient." Und sie beschloss heimlich es auf eine Probe ankommen zu lassen; eines Tages lag sie wie todt ausgestreckt auf dem Söller. Da kam er und als er sie sah, rief er: "Ist das abscheuliche Thier doch endlich todt!" und wollte sie in den Hof hinab werfen. Da sprang sie wieder auf die Füsse und rief: "Undankbarer, so willst du an mir handeln, der du doch alles verdankst?" Und sie ergoss sich in eine Flut von Vorwürfen, die er schweigend hinnahm; denn er fühlte, er habe sie verdient. Er antwortete ihr, es sei ihm leid und bat sie um Verzeihung. "Gewiss werde ich dich nach deinem Tode geziemend begraben und dir ein schönes Denkmal setzen lassen versprach er ihr auf das Feierlichste.
Wieder verfloss einige Zeit, da starb die Katze wirklich. Graf Martin hielt sein Versprechen und liess die Katze feierlich begraben — fast mag ich's nicht sagen, aber es ist mir doch so gesagt worden — sogar in einer Kirche liess er sie begraben und ihr einen schönen Grabstein setzen, worauf die Verdienste der Katze in prunkenden Worten geschildert waren. Heute ist der Stein nicht mehr zu finden und kann sich auch Niemand erinnern denselben gesehen oder doch wenigstens gehört zu haben, wo er hingekommen sei.
Quelle: Märchen und Sagen aus Wälschtirol,
Ein Beitrag zur deutschen Sagenkunde, gesammelt von Christian Schneller,
Innsbruck 1867, Nr. 43, Seite 122
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, 2007.
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