Der starke Hans (Zuam Valent)
Es lebte einmal ein armer Schuster, der arbeitete eines Tages in seiner Werkstatt und machte sich eben die Pappe an; weil sie aber zu dünn war, stellte er sie vor das Fenster. Als er nach einer Weile hinaus sah, bemerkte er, dass eine Menge von Fliegen auf der Pappe sass. "Wartet, ihr verdammten Vieher, ich will euch lehren meine Pappe zu fressen!" rief er zornig, fasste seinen Knieriem und führte einen gewaltigen Streich auf die Pappe; darauf zählte er und fand der todten Fliegen gerade hundert, sieben aber zappelten noch. Nun liess er sich eine kleine Platte machen und darauf schreiben: "Der starke Hans, der mit einem Streiche sieben verwundet und hundert erschlagen hat!" Diese Platte steckte er sich auf den Hut; auch liess er sich dazu einen grossen hölzernen Säbel machen mit einer Scheide, so dass man glauben musste, es sei ein rechtes Heldenschwert. Das gürtete er um und ging in die Welt und lachte recht vergnügt, wenn die Leute ihn scheu ansahen und ihm überall aus dem Wege gingen. Denn in jener guten alten Zeit waren die Leute noch nicht solche Grübler und Zweifler, wie heut zu Tage und wenn damals Jemand etwas sagte oder gar schrieb, so war es wahr und konnte gar nicht erlogen sein.
Bald kam Hans in einen finstern Wald, wo eine Schaar Räuber auf ihn losstürzte; er aber blieb ganz ruhig stehen und blickte sie mit Verachtung an. Nachdem die Räuber die Inschrift gelesen hatten, kam ihnen ein Gruseln; da aber Hans so friedfertig aussah, fragten sie ihn, ob er nicht bei ihnen bleiben wolle, sie würden ihn gut bezahlen. Hans erwiederte: "Nun, ich bin dabei, aber seht wol zu, dass ihr mich nie zornig macht, sonst —" und dabei legte er die Hand an sein Schwert, so dass die Räuber meinten, mit dem Manne lasse sich nicht spassen. Noch an demselben Tage erhielt der Räuberhauptmann die Anzeige, es werde um Mitternacht ein reicher Herr mit seinem Wagen durch den Wald kommen. Sogleich rief er Hansen und sagte: "Lege dich heute Nacht da und da in den Hinterhalt und wenn der reiche Herr kommt, so fall' über ihn her."
Hans gehorchte pünktlich und legte sich an der Strasse in den Hinterhalt. Als der Herr um Mitternacht daher fuhr, stürzte Hans hervor und schrie: "Halt!" Zitternd hielt der Herr an; Hans aber befahl ihm auszusteigen und sich auf dem Boden zu legen. Voll Furcht gehorchte der Herr und als er auf dem Boden lag, fiel Hans über ihn her und hinaus auf die andere Seite; dann sagte er: "Nun steh' auf und fahre weiter!" Der Herr wusste nicht, wie ihm geschah, aber er liess es sich nicht zwei Mal sagen, stieg in den Wagen und fuhr weiter. Hans aber ging ganz vergnügt in die Räuberhöhle und legte sich schlafen.
Am Morgen kamen die Räuber von einem Raubzuge zurück und fragten Hansen, ob er den Befehl ausgeführt habe. Haus bejahte und erzählte, wie er über den Herrn hergefallen sei und wie er es gemacht
habe. »So war es nicht gemeint", rief ärgerlich der Räuberhauptmann. "Heute Nacht geh wieder auf die Strasse und wenn der Herr wieder kommt, so nimm ihm die Börse. Hast du verstanden?" "Hättest du mir's gestern gesagt, so hätt' ich's gethan, jezt aber weiss ich's", sagte Hans. Als es Nacht wurde, legte er sich abermals in Hinterhalt. Um Mitternacht kam wieder der Herr mit seinem Wagen und Hans hielt ihn an, indem er rief: "Die Börse her! die Börse her!" Zitternd gab ihm der Herr die Börse, welche von Dukaten und Thalern strozte; allein Hans öffnete sie und leerte dem Herrn das Geld in den Schooss, indem er sagte: "Ich will ja nur die Börse, nicht das Geld; nun fahre zu!"
Als er zu den Räubern zurückkam und ihnen die Börse brachte, fragten sie: "Wo hast du denn das Geld?" Hans erwiederte: "Das Geld habe ich dem Herrn wieder gegeben, denn ihr habt ja nur die Börse gewollt!" Da wurden die Räuber zornig, beschlossen aber es mit Hansen noch einmal zu versuchen. Der Hauptmann näherte sich ihm, klopfte ihm auf die Schultern und sagte: "Höre, Freundchen, bei deiner Stärke könntest du leicht auch ein wenig gescheidter sein. Was sollen wir mit der leeren Börse thun? Die Batzen musst du dem Herrn nehmen und zwar alle, die er bei sich hat — hast du jezt recht verstanden?" "Ei freilich", sagte Hans, "jezt versteh 'ich's, warum hast du es mir nicht gleich gesagt?" Und als es Nacht wurde, legte sich Hans wieder in den Hinterhalt. Bald kam auch der Herr und Hans hielt ihn an, indem er schrie: "Die Batzen her! her mit den Batzen!" Da wurde der Herr bestürzt und meinte, diesmal sei Ernst und reichte ihm abermals die Börse. Hans leerte sie aus und suchte die wenigen Batzenstücke heraus, die darin waren; darauf hiess er den Herrn weiter fahren. Das Geld aber brachte er den Räubern, welche erstaunt darein sahen und fragten: "Hat denn der Herr nicht mehr Geld bei sich gehabt?" "0 ja", erwiederte Hans, "er hatte der blanken Thaler und der gelben Dukaten und Goldvögel eine Menge, aber ihr habt ja nur die Batzen gewollt und da ist alles, was der Herr an Batzen hatte." Nun waren die Räuber wüthend und schimpften und fluchten, dass die Bäume hätten umfallen können. Der Räuberhauptmann aber sagte zu Hansen: "Du bist so dumm, dass mit dir nichts anzufangen ist; schere dich weiter und sieh, dass du aus unserm Walde hinauskommst!"
Niemand war froher als Hans, so leichten Kaufes abzukommen, er machte sich auf die Füsse und liess die Räuber fluchen, so viel sie wollten. "Der starke Hans ist immer ehrlich gewesen", sagte er zu sich selbst, "euertwegen habe ich keine Lust gehabt ein Spitzbube zu werden. Besser, ihr haltet mich für dumm, als für einen eures Gleichen!" Er ging und kam bald in eine grosse Stadt, da war alles voll Trauer; denn in der Nähe hauste ein grosser Drache und in wenigen Tagen sollte ihm die einzige Tochter des Königs zum Frasse vorgeworfen werden. Als der König von der Ankunft des starken Hans hörte, erblickte er darin einen Stral der Hoffnung und er liess ihn rufen. "Höre", sagte er, "wenn du im Stande bist den Drachen zu erlegen, so will ich dir meine Tochter zur Gemalin geben." Hansen war bei der Sache nicht wol zu Muthe, aber man liess ihm wenig Zeit sich zu besinnen. Das Volk nahm ihn in die Mitte und führte ihn bis zum Berge, auf welchem der Drache hauste; da musste Hans wol oder übel allein hinaufsteigen, um den Drachen zu bekämpfen. Als er oben war, hörte er schon von weitem das Schnauben des Drachen, aber zum Glücke stand ein hoher Baum mit langen Aesten in der Nähe und Hans flüchtete sich auf denselben, indem er bis in den Gipfel hinaufstieg. Aber der Drache kam und merkte es sogleich; mit weitgeöffnetem Rachen flog er auf den Baum hinauf. Als Haus dies sah, meinte er, es sei sein leztes Stündlein, es schwanden ihm die Sinne und er fiel zu Boden. Nur mit Mühe vermochte er sich aufzuraffen und mit schlotternden Knien ein paar Schritte weit zu gehen, denn er meinte, jeden Augenblick werde der Drache ihn verschlingen. Als dies nicht geschah, blickte er endlich um und sah, dass der Drache sich mit seinem langen Halse in den Aesten so verwickelt hatte, dass er nicht mehr loskommen konnte und durch sein Zappeln sich selbst elendiglich erwürgte. Als Hans sich überzeugt hatte, dass er todt sei, ward ihm das Herz wieder leicht; er trocknete sich den kalten Angstschweiss von der Stirne und stieg im Triumphe den Berg hinab. Als er in die Stadt kam, fragten alle Leute nach dem Drachen. "Armes Thier," sagte Hans, "ich hab' es erwürgt und dann auf den Baum gehängt, wo es noch ein wenig zappelte und elendiglich verendete. Geht nur hin und holt es euch, wenn ihr wollt!" Nun brach ein ungeheurer Jubel los, des Königs Freude kannte keine Gränzen und schon am nächsten Tage wurde die Verlobung Hansens mit der schönen Prinzessin gefeiert, während der todte Drache unter ungeheurem Zulauf des Volkes durch die Stadt geführt wurde.
Bevor aber noch die Hochzeit stattfand, sagte der König zu Hansen:"Meine Tochter ist mit dir verlobt, doch bevor du sie wirklich heiratest, musst du mir noch einen Gefallen erweisen. Unweit der Stadt ist ein dichter Wald, darin lebt ein böser Riese, den musst du aufsuchen und erschlagen, denn er belästigt mich und meine Unterthanen [Untertanen]."
Hans machte zwar ein saures Gesicht dazu, aber der König stand von seinem Begehren nicht ab und Hans musste sich daher zu einer neuen Heldenthat entschliessen. Er ging und traf in dem Walde auf den Riesen. Als dieser die Inschrift auf Hansens Hute gelesen hatte, sagte er: "Komm mit mir auf den Berg; wer mehr Holz tragen kann, soll der Stärkere sein." Sie gingen auf den Berg und der Riese band für sich eine grosse Bürde Holz zusammen. Hans aber sah zu. "Warum arbeitest du nicht?" fragte der Riese. "Diese Stricke sind mir zu kurz", erwiederte Hans, "denn ich will mir gleich den ganzen Wald zusammen binden." Zugleich machte er ein so troziges Gesicht dazu, dass dem Riesen heimlich bange wurde. ,.Lassen wir dies gut sein", sagte er und sie gingen beide nach Hause. Am folgenden Morgen nahm der Riese seinen Eisenpfahl und führte Hansen auf einen ebenen Platz. ;,Nun wollen wir versuchen", sagte er, "wer den Pfahl weiter zu werfen im Stande sei." Sodann warf er ihn ein gutes Stück weit, holte ihn wieder und sagte zu Hausen : "Nun wirf du!" Hans wäre nicht im Stande gewesen, den Pfahl auch nur aufzuheben; dafür stellte er sich auf die Zehenspitzen, lugte weit aus und schrie dann aus vollem Halse: "He dort ihr Leute über dem Meere, gebt Acht!" "Warum rufst du so?" fragte der Riese. ,Ei nun", erwiederte Hans, "ich möchte dort über dem Meere Niemanden erschlagen, wenn ich den Pfahl hinüber werfe." Da gruselte dem Riesen, er griff rasch nach dem Pfahle und sagte: "Ei, lassen wir es gut sein." Und sie gingen wieder nach Hause.
Am dritten Tage führte der Riese Hansen wieder auf den Berg, um Holz zu spalten. Er fällte einen grossen Baum, entästete ihn und führte dann mit der Hacke einen solchen Hieb auf den Stamm, dass sich dieser über die Hälfte seiner Länge spaltete und die Hacke im Spalte stecken blieb. "Kannst du das auch?" fragte er Hansen. "Das ist ein Kinderspiel", sagte dieser; "ich aber will nun mit den Händen in die Spalte fahren und den Baum vollends entzwei reissen. Kannst du das auch?" — "Ich will's versuchen", sagte der Riese und fuhr mit den Händen in die Spalte. Als er sich nun anstrengte, wurde die Hacke ein wenig los und Hans riss sie schnell heraus, worauf der Riese mit den Händen eingeklemmt blieb und jämmerlich schrie.
Hans aber war nicht faul, sondern schlug ihm mit der Hacke den Schädel ein und liess ihn liegen. Dann ging er wieder in die Stadt und der König war höchlich erfreut, als er hörte, Hans habe seinem Feinde das Lebenslicht für immer ausgeblasen.
Schon war die Hochzeit festgesezt, als plötzlich die Feinde in's Land einlielen und nicht weit von der Stadt ein Lager aufschlugen. Der König beschloss ihnen mit seinem kleinen Heere entgegen zu rücken und befahl seinem Schwiegersohne dem Heere voranzureiten. Hans tröstete sich und dachte: "Diesmal bin ich doch nicht allein, das Glück wird mich auch nicht im Stiche lassen." Kaum war das Heer vor der Stadt, so wurde Hansens Pferd scheu und rannte mit wüthendem Ungestüm gegen das Lager der Feinde. Als er vor einem Kloster an einem Kreuze hart vorüber kam, wollte er sich in seiner Angst festklammern, aber das Kreuz blieb ihm in den Armen und das Pferd rannte noch wüthender. Die Feinde sahen ihn schon von weitem mit dem Kreuze kommen und da sie meinten, es sei ein Erzengel, ergriffen sie die Flucht in solcher Eile, dass sie alles im Lager zurückliessen. Hans war gar froh, als das wilde Pferd endlich im Lager stehen blieb. Dann kam der König mit seinem Heere, sie plünderten und verbrannten das Lager und führten Hansen im Triumphe in die Stadt. Dort wurde sogleich die Hochzeit gefeiert.
Die Prinzessin lebte mit Hansen recht glücklich; nur Einen Kummer hatte sie und der war, dass ihr Gemal ihr nie sagte, wer und woher er eigentlich sei, indem er auf alle solche Fragen hartnäckig schwieg. Aber nachts im Schlafe träumte ihm einmal, er sei noch Schuster und arbeite; dabei fuhr er mit beiden Armen so gewaltig aus, dass er seine Frau stiess und sie erwachte. Da hörte sie, wie er im Traume immer sagte: "Schuster, zieh den Riem — Schuster, zieh den Riem!" Nun wusste sie, wonach sie so lange gefragt hatte. Aber auch sie schwieg und sagte es keinem Menschen, nicht einmal ihren Aeltern und wenn diese nicht gestorben sind, so wissen sie es heute noch nicht. —
Quelle: Märchen und Sagen aus Wälschtirol,
Ein Beitrag zur deutschen Sagenkunde, gesammelt von Christian Schneller,
Innsbruck 1867, Nr. 54, Seite 153
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, 2007.
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