SIE TANZEN NACH DER PFEIFE
Es waren einmal ein Bauer und eine Bäuerin, die drei Söhne ihr eigen nannten. Zwei davon galten als die schönsten Burschen im Ort. Der dritte aber war bucklig. Seine Brüder hänselten ihn deswegen oft und taten ihm auch manchen Schabernack an. Er ließ sich gutmütig alles gefallen, als sie es aber zu bunt trieben, beschloß er, in die Welt zu ziehen, um sein Glück zu machen.
Der Bucklige ging also fort und wanderte den ganzen Tag über die Berge. Gegen Abend wurde er matt und schwach, und es befiel ihn ein so starker Schwindel, daß er am Wegrand niedersank und nichts mehr von sich wußte.
Als er erwachte, sah er ein kleines Männlein, das sich um ihn mühte und ihm aus einem Fläschchen zu trinken gab. Dann bemerkte er mit Staunen, daß er sich in einer Höhle befand, die durch ein mattes Licht erhellt wurde.
"Hast du Hunger?" fragte ihn das Männlein.
Der Bucklige nickte.
"Komm!" sagte der Zweig freundlich und führte ihn an einen gedeckten Tisch. "Iß von diesen Speisen, soviel du willst. Wenn du genug hast, leg dich ins Bett dort und schlafe, bis ich dich wecke."
Der Bucklige tat, wie ihm der Zwerg gesagt hatte, und bald schlief er wie ein Roß.
Am andern Morgen weckte ihn das Männlein. Nachdem beide gefrühstückt hatten, führte es ihn durch einen langen Gang, der nur dann und wann von einer matten Öllampe beleuchtet war.
Erst nach zwei Stunden kamen sie durch eine Tür ins Freie. Hier nahm das Männlein von dem Buckligen Abschied, gab ihm die Hand und sagte: "Du bist hier in einer fremden Gegend, aber hab keine Furcht und wandere nur diesen Weg weiter. Und damit du eine Erinnerung an mich hast, nimm dieses Pfeifchen. Es hat eine besondere Eigenschaft. Jeder, der es hört, muß tanzen, solange du pfeifst!"
Das Männlein verschwand, und der Bucklige ging seines Weges dahin. Da begegnete ihm ein Hirte, an dem wollte er die Kraft seines Pfeifchens gleich versuchen. Er nahm es zum Mund und begann zu pfeifen, worauf der Hirte auch wirklich zu tanzen anfing. Sogar die Schafe sprangen freudig im Kreis herum.
Dann geriet der Bucklige in einen Wald, wo ihn die Nacht überraschte. Müde legte er sich unter einen Holunderstrauch und machte die Augen zu. Kaum war er eingenickt, wurde er durch laute Stimmen aufgeweckt.
Da erblickte er, nicht weit von seinem Holunderstrauch entfernt, eine Schar von Räubern. Sie wollten gerade im Schein eines Feuers ihre Beute, viele glänzende Goldstücke, zählen.
Als der Bucklige das Gold sah, faßte er den Plan, es den Räubern zu entreißen. Da fiel ihm sein Pfeifchen ein. Schnell führte er es zum Mund und blies mit aller Kraft hinein. Und siehe, sogleich erhoben sich die Räuber und tanzten so lange, bis sie zu Boden fielen und sich nicht mehr rührten.
Nun sprang der Bucklige hinzu, packte das Gold und eilte davon.
Als der Morgen dämmerte, kam er in ein Dorf, in dem die Leute mit trauriger Miene umhergingen. Weil ihm das seltsam vorkam, fragte er und erhielt zur Antwort: "Der Gutsherr, der stets gütig und freundlich zu uns gewesen ist, will sein Schloß verkaufen und in eine andere Gegend ziehen!"
Der Bucklige empfand Mitleid mit den Leuten, ging zum Schloßherrn und kaufte ihm mit seinem erbeuteten Schatz den ganzen Besitz ab. So wurde er der neue Gutsherr. Er war zu den Leuten ebenso gütig und freundlich wie der frühere, nur liebte er es, sie mitunter nach seinem Pfeifchen tanzen zu lassen.
Nach einer Zeit trug es sich zu, daß zwei Bettler in das Schloß kamen und um eine Gabe baten. Der Bucklige erkannte in ihnen gleich seine beiden Brüder und fragte sie: "Wie konnte es geschehen, daß ihr zu Bettlern geworden seid?"
Da erzählten sie: "Der rote Hahn flog auf das Dach unseres Vaterhauses und vernichtete all unsere Habe. Das größte Unglück aber war der Tod unserer Eltern. Sie konnten das Haus nicht mehr verlassen und mußten im Rauch ersticken."
Darauf gab sich der Bucklige seinen Brüdern zu erkennen. "Was
blieb uns anderes übrig, als in die Ferne zu ziehen?" schloß
der eine Bruder. Und der andere bat den Buckligen: "Kannst du uns
all das Böse, das wir dir angetan haben, verzeihen?" Dazu war
der Gutsherr gern bereit. Er verzieh ihnen und behielt sie fortan bei
sich.
Quelle: Österreichische Volksmärchen, gesammelt von Josef Pöttinger, Wien 1957