Der gute Riese

Er war der beste Riese im ganzen Salletwald. Er schlug seine Frau nie, er lachte die Eule nicht aus, wenn sie bei Tage mit großen Augen auf einem Aste saß und nicht mehr heimfand, und wenn die kleinen Vögel aus dem Neste fielen, legt er sie sorgsam wieder hinein.

Alle Leute ringsum wussten, wie gerne der Riese half. Ging ein altes Weiblein in den Wald, Holz zu sammeln, rief es: „Riese! Riese! Hilf mir!“. Gleich war der Riese da, brach ein paar Bäume kurz und klein und trug sie dem Weiblein auch noch vor das Haus.

Kam ein Handelsmann schwer bepackt in die Nähe des Waldes, rief er: „Hilf, Riese!“. Schon war der Riese da und trug den Pack und oft auch die Männlein bis zum anderen Ende des Waldes.

Ein kleines Büblein, das Heidelbeeren pflückte, rief auch einst: „Bitte, lieber Riese, hilf mir!“. Der Riese schaute ein bisschen, denn die schwarzen Kügelchen waren doch gar zu winzig, doch dann griff er mit seinen großen Händen nach den Beeren. Aber da nützte aller gute Wille nichts, es blieben ihm immer die ganzen Stauden in den Fingern und die Hände wurden blau von den zerdrückten Beeren. Kopfschüttelnd besah der Riese seine täpischen Finger. Es war ihm leid, dass er nicht helfen konnte, aber Beeren pflücken oder Schwämme suchen, das ging nun einmal nicht, dazu war er zu groß.

Wenn ein Bauer Korn einführen wollte, dann nahm der Riese den Wagen an der Deichsel und führte ihn wie ein Hündlein hinter sich her. Wenn es eilig war, nahm er auch zwei.

Schnee schaufeln brauchte niemand. Der Riese fuhr mit dem Zeigefinger der rechten Hand durch die Dorfstraße und die Fahrbahn war fertig.

Man kann sich denken, dass alle Leute den Riesen liebten. Freilich, allzu viel durfte man von ihm nicht verlangen.

Wenn ein Bauer sagte: „Ach Riese, ich bitte dich, hilf mir morgen!“, dann sagte der Riese: „Das weiß ich noch nicht.“

Und wenn einer bat: „Riese, übermorgen brauche ich dich notwendig.“ Dann sagte er: „Ich muss erst nachdenken.“ Denn, wann morgen oder übermorgen war, das konnte sich der Riese nie merken. Aber was tut das? Alle Riesen können nicht gleich gescheit sein. Dafür war er der beste Riese, den es gab.

Am Rande des Dorfes, gegen den Wald zu wohnte ein Schneider. Der meinte, Wunder wie klug er wäre und hielt alle anderen Leute für unbändig dumm und den Riesen erst recht. Er hatte ihn schon oft geneckt. Er rief von seinem Häuschen aus: „Riese, hilf mir!“. Wenn dann der Riese mit seinen größten Schritten ankam, hatte sich der Schneider längst versteckt und niemand war da. Der Riese schaute ein bisschen, kratzte sich hinter den Ohren und ging brummend davon.

Oder er sagte: „Aber Riese, was guckst du denn hier in den Bach? Jetzt ist doch morgen. Weißt du nicht mehr, dass dich der Michelbauer zum Heueinführen braucht?“. „Ah so.“ sagte der Riese und lief schon. Als er auf die Wiese kam, war niemand da und das Gras stand völlig ungemäht. Fast war der Riese ein bisschen böse, aber bis zum nächsten Mal hatte er es wieder vergessen.

So war es viele Jahre gegangen, da rief der Bürgermeister die Männer zusammen und sagte: „Der Riese hat uns allen so oft geholfen, wir wollen ihm zeigen, dass wir dankbar sind. Wir werden ein großes Festmahl richten und ihn einladen!“ – „Ja, ja.“ Riefen allen: „das hat der gute Riese schon lange verdient.“ – „Jeder gibt, was er kann.“ Sagte der Bürgermeister: „Ich gebe einen Ochsen.“. Der Milchbauer gab ein Schwein, der Häuselmann gab ein Schaf, das alte Weiblein eine Ziege, der Krämer ein Fass Most und der Schneider sagte, er werde die Knödel machen. Dabei dachte er schon wieder an eine Bosheit.

Der Riese war stolz und glücklich über das Fest und freute sich mächtig auf das gute Essen. Alles war fein gebraten. Ochs und Schwein, Schaf und Zicklein und die Knödel lagen appetitlich weiß und größer als drei Menschenköpfe in einem Backtrog.

Der Riese ließ sich nicht lange bitten, er griff zu und aß, dass ihm das Fett übers Kinn lief. Als er einen Knödel mit einem Finger in den Mund stopfte und zubiss, krachte es, dass die Leute glaubten, ein Steinbruch sei eingestürzt. Der boshafte Schneider hatte Felsstücke mit Lehm bestrichen und in weißem Sande gedreht.

Der Riese verzog den Mund, spuckte die Steinbrösel aus, nahm einen zweiten Knödel und warf ihn dem Schneider an den Kopf: „Da, friss deine Knödel selber.“ Rief er. Er war eben ein ungebildeter Riese und von dem kann man nichts anderes verlangen. Aber der Schneider fiel um und war tot und das war doch ganz recht so, nicht?

Quelle: Friedrich Neisser, Märchen aus Enzenkirchen. Neu herausgegeben von Roger Michael Allmannsberger.
Von Roger Michael Allmannsberger freundlicherweise im Juli 2007 für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.
© Roger Michael Allmannsberger