Die goldene Prinzessin
Im goldenen Königreich ist alles golden, die Bäume, die Häuser und auch die Prinzessin. Weil sie gerade das richtige Alter hatte, sollte sie heiraten. Aber natürlich musste es ein Mann aus Gold sein oder doch wenigstens so gut wie aus Gold.
„Wenn ich mir untertänigst einen Vorschlag gestatten dürfte?“ dienerte der Zeremonienmeister. „So kämen nur zwei Herren von Geburt in Frage: Phöbus Apollo und König Midas. Die sind es gewohnt, mit goldenen Dingen umzugehen und werden unsere allerhöchste Prinzessin zu schätzen wissen.“
Darauf verneigte er sich und trat zurück. Die Prinzessin hob ihr Näschen und begann zu lachen: „Offen gestanden, Verehrtester, sind mir die beiden Herren zu antik. Sie stehen doch schon in den Schulbüchern, seit es Gymnasien gibt.“
„Aber…“ begann der König. „Kein Aber, lieber Vater.“ Sagte die Prinzessin: „…wenn es nicht anders geht, will ich lieber auf das Gold verzichten.“ Sprach es, dreht sich um und verließ den Saal. Sie war ein bisschen verzogen, die Prinzessin, das soll bei einzigen Kindern öfter vorkommen.
Da saßen sie nun, der König und die Minister und sannen hin und her. Die unsinnigsten Vorschläge wurden gemacht. Einer meinte gar, im Zeitalter der Technik müsste es keine Schwierigkeiten machen, einen künstlichen Mann aus purem Gold herzustellen.
„Das ist alles nichts!“ sagte der König. „Es verträgt sich weder mit unserer Würde, noch dürfte es den Wünschen der Prinzessin entsprechen. Ich habe gehört, dass einmal ein König in Europa die konstitutionelle Regierung einführte. Man soll mir nicht nachsagen, dass ich rückständig bin und so soll das Gesetz von nun an lauten: Es muss kein Mann aus Gold sein, es genügt, wenn irgend etwas an ihm golden ist.“ Das war eine Rede und nun konnten die Freier kommen und sie kamen.
Alle Tage saß die Prinzessin den ganzen Vormittag auf dem Thron, sommers im Garten unter einem purpurnen Baldachin, winters im Saale unter einem blauen Thronhimmel und prüfte die Freier.
Fragen wurden nicht gestellt, das war zu unmodern, und geköpft wurde auch niemand, aber die Prinzessin betupfte jeden mit dem Zeigefinger der rechten Hand, denn dann wusste sie, ob etwas an ihm aus Gold sei, und dann sah sie ihn an, ob er ihr gefielt.
Bis jetzt hatte ihr noch keiner gefallen und es waren doch die vornehmsten Prinzen dabei gewesen und die reichsten jungen Amerikaner.
„Muss denn geheiratet sein?“ fragte die Prinzessin: „Ich brauche wirklich keinen Mann.“
„Aber das Volk einen König.“ Verwies der Vater. „Morgen bist du zwanzig Jahre alt, morgen wählst du deinen Mann. Einer von denen, die morgen kommen, muss es sein. Ich will, dass Geburtstag und Verlobung zugleich gefeiert werden.“
Wenn der Vater so energisch sprach, dann gab es keine Widerrede, das wusste die Prinzessin. Sie ließ das Köpfchen hängen und ging nachdenklich schlafen.
Am frühesten Morgen schlenderte ein Handwerksbursche die Straße daher und pfiff sich ein Lied. Die Sonne schien, die Vögel sangen, jung war er und fröhlich. Was konnte es Schöneres geben?
„Willst du auch die Prinzessin freien?“ fragte ein Musikant, der mit seinem Bombardon auf dem Rücken daherkeuchte.
„Ich? Die Prinzessin? Die wird gerade so dumm sein, mich zu wählen.“
„Nun, da kannst du mir deine Schuhe leihen.“ Bat der Musikant.
„Schau mich an, meine sind wirklich nicht mehr hoffähig.“
„Da nimm!“ lachte der Bursch und trabte barfuss weiter.
„Platz, Platz!“ schrie ein Kutscher, dass die beiden erschrocken zur Seite sprangen. Ein Goldschmied saß in der Kutsche, der auch zur Prinzessin fuhr.
Ein Ritter kam hoch zu Ross, ein Dichter bescheiden zu Fuß und ein Königssohn mit großem Gefolge. Alle zogen die Straße zum Schlosse, alle wollten die Prinzessin freien.
Am Wegrand lag ein alter Mann und ein Buckelkorb voll schwerer Dukaten lag auf ihm. Er jammerte: „Helft mir, liebe Leute, ich kann nicht aufstehen, ich habe mir den Fuß gebrochen, um Gottes Willen, helft!“. Sie ritten und fuhren und gingen vorbei, keiner hatte Zeit für den Alten. Nur der Handwerksbursch erbarmte sich: „Da sieht man, dass zu viel Geld auch nichts taugt.“ Sagte er, streifte die Dukaten herunter und half dem Männlein auf die Beine.
Um neun Uhr öffnete sich die Türe zum Thronsaal und alle wurden eingelassen. Der Handwerksbursch war ganz gedankenlos mitgegangen.
Da Geburtstag gefeiert werden sollte und Verlobung zugleich, waren alle Vornehmen des Reiches zugegen: Die Morgenstunde, die das Gold im Munde hatte, das Handwerk mit dem goldenen Boden, der berühmte Sänger, dem das Gold in der Kehle saß, der junge Mann mit der goldenen Zukunft und die Mädchen aus dem goldenen Westen.
Der Zeremonienmeister zeigte jedem der Freier, wie er sich verbeugen musste, wie er gehen sollte und wie stehen, was er antworten sollte, wenn die Prinzessin fragte und wie er vortreten musste. Er wollte eben alle in eine Reihe stellen, als die Prinzessin kam. In seinem Eifer, schnell seine tiefste Verbeugung zu machen, stolperte er über seinen langen Stab und fiel der Länge nach hin. Alles lachte, selbst die Prinzessin verzog den Mund. Nur der Handwerksbursche sprang hin und half ihm auf.
„Nun wollen wir beginnen.“ Befahl der König und setzte sich und mit ihm die Königin und die Prinzessin. Die Freier kamen nach ihrem Range, zuerst der fremde Prinz. Er beugte ein Knie und legte seine goldene Krone der Prinzessin zu Füßen.
Man sah auf den ersten Blick, dass es eine massive alte Krone war und so fuhr die Prinzessin auch nur der Form halber mit dem Finger leicht darüber hin, aber sie schüttelte den Kopf, denn der Prinz hatte eine hohe Schulter.
Der Ritter hatte zwar Rüstung aus purem Golde, aber seine Augen blickten tückisch aus einem groben Gesicht. Wieder schüttelte die Prinzessin den Kopf.
Auch den Goldschmied wollte sie nicht, trotzdem er zwölf lederne Beutel voll des feinsten Goldes um sich stehen hatte.
Der Musikant hielt seinen Bombardon vor sich hin, damit man gleich sehen konnte, dass er nicht mit leeren Händen kam.
„Ah!“ riefen die Leute: „Das ist feinstes Dukatengold!“. „Schwindler!“ sagte die Prinzessin, nachdem sie ihn berührt hatte: „Ich fühle kein Gold.“. Beschämt schlich der Musikant zur Seite und eine Hofdame sagte kopfschüttelnd: „Ja, ja, es ist nicht alles Gold was glänzt!“
Dass der Dichter etwas aus Gold besaß, bemerkte man erst, als er nach einer tiefen Verbeugung die Prinzessin um Erlaubnis bat, ihr sein Gedicht an sie vortragen zu dürfen. Er hatte vorne unten einen Goldzahn. Aber da er anstieß beim Sprechen, schüttelte die Prinzessin wieder den Kopf.
„Jetzt wird es mir aber zu dumm.“ Brummte der König auf. „Du weißt, was ich dir sagte. Die Freier sind da, nun sieh zu, welchen du nehmen willst!“
„Einer ist noch da!“ schrie der Küchenjunge und zeigte mit dem Finger auf den Handwerksburschen. Der stand hinten in der Ecke. Als ihn nun aber alle anblickten und der König befahl: „Na, vorwärts, junger Mann!“ trat er munter vor, machte eine hübsche Verbeugung und schaute der Prinzessin zutraulich in die Augen. Er hatte so hübsche blonde Locken und so kecke blaue Augen und lachte so fröhlich und unbefangen, dass er allen gefiel, der Prinzessin auch. „Den nehme ich!“ sagte sie und wollte ihm die Hand reichen. „Einen Moment.“ Wehrte der Zeremonienmeister: „Hat man den untersucht, ob er etwas aus Gold besitzt?“. „Das nicht.“ Sagte der König und musterte den jungen Mann mit scharfem Blick. Der ließ den Kopf hängen, denn das wusste er selber am besten, dass man so etwas bei ihm nicht finden konnte.
Aber die Prinzessin, die seine Hand gefasst hatte, lächelte und sprach: „Hier muss etwas von Gold sein.“ Dabei zeigte sie auf des Burschen Herz. „Mein Zeigefinger sagt es mir.“ Und so war es. Der Handwerksbursch hatte ein goldenes Herz und das haben wir doch alle schon lange gemerkt, nicht? Darum bekam er auch die Prinzessin und wurde König im goldenen Königreich.
Quelle: Friedrich Neisser, Märchen aus Enzenkirchen. Neu herausgegeben von Roger Michael Allmannsberger.
Von Roger Michael Allmannsberger freundlicherweise im Juli 2007 für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.
© Roger Michael Allmannsberger