Die Vögel des Zauberers

Im Hirschtobel wohnte ein Zauberer. Du meinst, das müsstest du auch wissen, dort sei nicht einmal ein Haus? Jetzt freilich nicht. Es ist auch schon einige hundert Jahre her. Aber er wohnte im Hirschtobel in einem sehr kleinen Haus und war ein gewaltiger Zauberer.

Man sah es ihm nicht an. Er war ein kleines Männlein und schaute ganz freundlich darein. Die Kinder fürchteten sich nicht vor ihm, weil sie es nicht verstanden, aber die Großen ballten hinter ihm die Fäuste und hätten ihm gerne alles Böse gewünscht, wenn es gewirkt hätte.

So klein sein Häuschen war, so viele Vögel hausten darin. Meisen und Finken, Raben und Elstern, Kleiber und Gimpel, Stieglitze und Amseln, ein winziger Zaunkönig und alter Waldkauz. Alle Wände waren mit Käfigen behängt, auf Schränken und Wandbrettern standen sie und aus jedem guckte neugierig oder verdrossen ein Paar Vogelaugen.

„Hi, hi, hi!“ lachte der alte „Spring nur, mein Söhnchen, spring! Bist gerne bei mir, gelt? Ja, ja, ja, sollst auch immer bei mir bleiben, mein schönes Vögelchen!“.

Er rieb sich die Hände und guckte vergnügt einem unscheinbaren Hänfling zu, der verzweifelt von Stäbchen zu Stäbchen sprang, das Köpfchen durch das Gitter zu stecken versuchte und endlich, als er müde wurde, sich mit aufgeplusterten Federn in den dunkelsten Winkel seines Käfigs setzte. Er war noch fremd, der Alte hatte ihn eben erst mitgebracht.

„So schon, mein Schätzchen.“ Kicherte der Zauberer „Sind alle noch gerne bei mir geblieben, die Vögelchen, Nicht war, meine lieben Vögel?“. Die Vögel schauten ihn mit ihren glänzenden schwarzen Augen an und gaben keinen Ton von sich. Alle waren verzauberte Menschen aus den umliegenden Dörfern, Schlössern und Städten.

Die kleinen Buben drückten sich oft die Nasen platt an den Fenstern des Häuschens, um die Vögel zu sehen. „Schau Ernstl, der Kleine, der Dicke, der vorn so rot ist, das ist bestimmt der Rösselwirt.“ – „Ja, und der Rotbraune, der so blaue Federln im Flügel hat und eine Haube auf den Kopf, das mein ich ist der Wachmann Huber.“ – „Genau wie der Herr Amtsrichter, schau!“ stieß Walter seinen Bruder Franzl an „Genau so streng und bös!“. Er zeigte auf den Kauz. „Wenn das nicht unser Lehrer ist, der voriges Jahr auf einmal verschwunden war!“ zeigte ein Bub auf einen Raben, der würdig vorne im ersten Käfig stand und ein Auge halb zudrückte. „Da schau, da schau“ schrie der kleine Karl „der Schneider tut anmessen.“. Er zeigte auf eine Meise, die kopfüber, kopfunter sprang und das Köpfchen nach rechts und nach links drehte.

„Schaut euch meine Vögelchen nur an, liebe Kinder!“ klang die Stimme des Zauberers. Husch waren die Buben fort, als sie das hörten. Dem Alten war es ganz recht, wenn die Leute seine Vögel ansahen, machte er doch mit ihnen das beste Geschäft. Von weit herum kamen die Leute und kauften ihm seine Vögel ab. Jeder glaubte, er könnte seinen armen verzauberten Vater oder Bruder kaufen, seinen Freund oder seinen lieben Sohn. Gerne zahlten die Leute jeden Preis, den der Zauberer verlangte, und wenn er noch so hoch war. Sie nahmen die armen Gefangenen mit heim und hielten sie, so gut sie es vermochten. Es kamen wohl Verwechslungen vor, denn die Leute konnten nur raten, welcher Vogel der rechte sei. Der Zauberer sagte es nicht. Er stand nur dabei und lachte hämisch und ließ sich brav zahlen.

Ihm war es ganz recht, wenn der Graf einen schweren Sack voll Taler für den alten Landstreicher zahlte und die Frau des Schneiders den Stieglietz nahm, der nicht ihr Mann, sondern der liederliche Maler Farbentopf. „So mein Liebling“ sagte die Frau Zuckerbäcker Mohnbeugel und hielt dem grauen Spatzen ein Zuckerstückchen hin. Der hackte darauf und drehte sich verächtlich um. Woher hätte die arme Frau wissen sollen, dass der Spatz der Fleischhacker Leberwurst war, der Zucker nun einmal nicht leiden konnte?

Nichts machte den Zauberer mehr Vergnügen, als wenn er sich vorstellte, wie der junge Graf beim Schuster Holznagel Brotkrumen fraß und wie die Königin den Maurer Ziegelstein eigenhändig mit einem Stückchen Kuchen fütterte. Die Königin? Ja, die Königin, die meinte, es wäre ihr lieber Sohn, denn auch der junge Prinz war verzaubert.

Ob man die armen Vögel nicht erlösen könnte, dachten die Leute. Sie durchsuchten alle alten Bücher, sie fragten in fernen Ländern an, sie baten die Wetterhexe um Rat. Doch die verstand sich nur auf Regen, Hagel und Sturm. Ein junger Bursch schlich sich sogar heimlich in das Häuschen des Zauberers und wollte das Zauberbuch suchen. Der Alte lachte, als er heimkam: „Hi, hi, hi, wenn ich das bisschen Zaubern noch nicht auswendig könnte! Ich brauche kein Buch. Hi, hi, hi!“. Er wusste wohl, wie man die Vögel erlösen konnte, aber er hütete sich es zu sagen.

Der kleine Hänfling war noch immer beim Zauberer. Als die Frau des Tischlers ihn kaufen wollte, hatte sich der Alte ängstlich davor hingestellt und zum ersten Male, seit er Vögel verkaufte, gesagt: „Nein, das ist euer Mann nicht.“

Der Hänfling sprang längst nicht mehr herum. Er saß Tag um Tag traurig auf seinem Hölzchen und schaute unbeweglich durch das Fenster nach dem Walde. Er sah so arm und so verlassen aus, dass Mariedi das Herz weh tat, wenn sie ihn sah. Sie kam nicht oft an dem Häuschen vorbei, denn sie fürchtete den Zauberer. Aber trotz aller Furcht zogen sie die traurigen Augen des Vogels immer wieder hin.

Die Buben freuten sich über jeden neuen Vogel und hatten ihren Spaß damit, aber Mariedi sah nur den kleinen, graugrünen Hänfling. Wenn der Zauberer Mariedi sah, lachte er ganz besonders hämisch, rieb sich die Hände noch vergnügter als sonst und murmelte: „Ja, ja, das wär´ scchon das Rechte, ein Mägdlein und unschuldig – aber das Dritte, das Dritte!“.

Als er einmal aus seiner Türe trat, als Mariedi eben vor dem Fenster den Hänfling mitleidig ansah, fragte er: „Den möchtest du, nicht wahr? Teuer, kleines Fräulein, sehr teuer.“ Erst wollte Mariedi vor Schrecken davonlaufen, dann nahm sie allen Mut zusammen und fragte: „Was kostet er?“ – „Sieben Gulden, mein Kind! Hi, hi, hi!“.

Sieben Gulden, das war viel Geld! Mariedi schaute den Vogel noch ein Mal an und lief weg. Sie lief zum nächsten Bauernhaus und fragte: „Was gibst du mir, Frau, wenn ich dir ein Jahr lang die Gänse hüte?“ – „Das Essen und einen Kittel!“ beschied sie die Bäuerin. „Gib mir das halbe Essen und  einen Gulden“ bat Mariedi und der Bäuerin war es recht.

So hütete Mariedi ein Jahr lang die Gänse, aß wenig und bekam einen Gulden. Im nächsten Jahr verkaufte sie Beeren und Schwämme und die schönen Blumen, die im Walde und auf den Felsen wachsen und hatte nun zwei Gulden. Im dritten Jahr spülte sie der Wirtin das Geschirr. Da waren es drei Gulden. Als sie im vierten Jahr Magd auf dem Gutshofe wurde, gab es gar zwei Gulden und so fehlten nur noch weitere zwei.

In all den vier Jahren war sie so oft zum Fenster des Zauberers gelaufen, als sie Zeit gefunden und hatte stets in die schwarzen Augen des Hänflings gesehen. Es schien ihr, als wären sie von einem Male zum anderen noch trauriger geworden. Es dauerte zu lange. Der arme Vogel würde sterben, ehe sie das Geld beisammen hatte. Sie verkaufte der Kuhdirn ihr rotes Röckchen. Aber das war keinen Gulden wert, ach nein, gewiss nicht. Ein paar Kreuzer bekam sie doch dafür. Die Köchin nahm die Schuhe, die Küchenmagd das Leibchen und das Gänsemädel die Strümpfe. Als es noch immer kein Gulden war, kaufte die Saudirn Mariedis schöne blonde Haare. Sie wollte sich einen dicken Zopf daraus machen lassen. Sechs Gulden! Welches Glück! Mariedi hielt sie fest in der Hand und lief zum Zauberer. Sie wollte ihn recht schön bitten, dann würde er wohl den siebenten Gulden darein gehen lassen.

„Hi, hi, hi!“ lachte der Zauberer „sechs Gulden sind zu wenig. Aber du sollst nicht sagen, dass ich unbarmherzig bin, mein schönes Kind. Wenn du meine Frau sein willst, gehört der Hänfling dir.“ Ach, das wollte Mariedi nun doch nicht. „Wie du meinst“ erklärte der Zauberer „Du kannst für sechs Gulden einen anderen Vogel haben. Komm herein! Suche dir einen aus!“. Mariedi trat zaghaft über die Schwelle.

Schöne Vögel waren da: Blaublitzende Eisvögel, grüne Papageien, Schwarzspechte mit roten Käppchen, Seidenschwänze mit Häubchen und rotbrüstige Kreuzschnäbel. Nein, sie wollte keinen von den schönen Vögeln, sie schaute nur auf den kleinen Hänfling, der das Köpfchen nach ihr drehte und sie mit seinen schwarzen Augen sehnsüchtig ansah. „Den Hänfling will ich haben.“ Sagte sie. „Sieben Gulden oder die sechs und das ganze Leben meine Frau!“ beschied der Zauberer.

Es war ihm nicht ganz wohl bei der Sache. Aber so dumm würde das Mädel doch nicht sein, dachte er, das es um einen Hänfling sich selber verkaufte. „Ja, deine Frau!“ rief Mariedi und streckte die Hand nach dem Vogel aus. Der Zauberer stieß einen grässlichen Fluch aus und brauste als schwarze Wolke davon.

Ein schöner, junger Prinz hielt Mariedi an der Hand und rund um die beiden standen Menschen, einer am anderen. Der Landstreicher und der Schneider, der Wirt und der junge Graf, der Herr Amtsrichter und der Maler Farbentopf, der Zuckerbäcker Mohnbeugel und der Fleischer Leberwurst, der Schulmeister und der Wachmann, alle, alle, die verzaubert gewesen waren, standen da und dankten Mariedi, weil sie alle durch ihr Mitleid erlöst worden waren.

Nun doch der junge Prinz. Und Mariedi wurde selbstverständlich seine liebe Frau. Der König ließ sie mit der goldenen Kutsche abholen. Aber, das hast du gewiss selbst gedacht, nicht?

Quelle: Friedrich Neisser, Märchen aus Enzenkirchen. Neu herausgegeben von Roger Michael Allmannsberger.
Von Roger Michael Allmannsberger freundlicherweise im Juli 2007 für SAGEN.at zur Verfügung gestellt.
© Roger Michael Allmannsberger