Der Müller auf der Wallfahrt

Ein Müller hatte in seiner Mühle sehr unter den lästigen Mäusen zu leiden, so daß er seine Arbeit völlig verlor. Da versprach er eine Wallfahrt und machte sich unverzüglich auf den Weg.

Als er nun ein Stück von seiner Heimat weg in einen Wald kam, sah er ein Rotkehlchen im Gebüsch sitzen. Das Vögelein rief ihm zu:

"Müller, wo gehst hin?"

Er antwortete:

"Wallfahren."

Das Rotkehlchen sprach weiter:

"Laß mich auch mit, um dich zu begleiten. Und wenn du nach Hause kommst, will ich meinen Gesang in deinem Zimmer anstimmen und dir immer treu dienen."

"So komm", antwortete der Müller. Sie gingen nun mitsammen. Gar nicht weit trafen sie eine Gans. Die rief ihnen zu:

"Müller, wo gehst hin, laß mich auch mit. Ich will dir treu dienen, darfst mich zu Hause nur in die Schublade des Tisches hineinsperren."

"Geh halt mit", sagte er und ging des Weges weiter. Da erblickte er einen Haushahn. Dieser rief ihn an, ob er ihn nicht auch mitgehen lasse. Ei, dachte sich der Müller, es ist doch sonderbar, daß ich heute überall Anstand habe; muß ihn doch auch mitnehmen, und gab ihm so das Jawort. Der Hahn sagte:

"Ich bin leicht zu finden, wenn du mich in deinem Hause nur auf den Kamin hinauf quartierst."

So gingen alle vier wieder nicht weit, bis der Müller eine Katze am Wege sitzen sah. Diese rief:

"Jau, Jau, Müller wohin? Jau, jau, laß mich auch mit dir ziehen, kannst mich in deiner Werkstätte zum Vertilgen der Mäuse gut brauchen."

"Ei ja, wenn's so ist, geh nur mit", sagte er. Kaum war dieses Gespräch vorbei, kam schon ein Ochs auf ihn zu und fragte den Meister Müller auch ums Mitgehen, er wolle ihm gut dienen und täglich den Mühlwagen ins Dorf ziehen, wohnen wolle er auf dem Stadel. Ja, ja, dachte er sich, ich muß wohl, sonst fallen alle meine Reisegesellen über mich her. Ich hätte halt das erste nicht sollen mitlassen. Und gab ihm somit die Erlaubnis sich auch beigesellen zu dürfen.

Er ging mit seinen Gesellen wieder ein Stück weiter, bis ihn ein Esel das nämliche wie der Ochs zurief: Der Müller ließ ihn auch mitziehen, und so gesellten sich Ochs und Esel zusammen. Zuletzt kam noch ein Schwein und sagte:

"Müller, wo gehst du hin, laß mich auch mit, will dir viel Düng machen, und wenn du mich nicht mehr brauchst, kannst doch meinen Speck und mein Fett brauchen. Ich will nur vor deinem Stall auf dem Düngerhaufen meine Tage verleben."

Er ließ es halt auch mitgehen und zog so, samt achten, den Wald entlang, bis daß die Nacht hereinbrach. So mußten sie also im Dunkel der Gebüsche den kommenden Tag erwarten.

Als sie nun ihr Lager aufschlugen, sagte eines zum andern:

"Wir werden nach Ortiar, von Räubern und Mördern hier sicher sein."

"Das wollen wir gleich sehen", sagte die Katze, ich kann gut klettern und komme leicht auf die höchsten Spitzen der Bäume."

Und somit bestieg die Katze den Baum und erblickte in ihrer Nähe ein Feuer, bei welchem einige Räuber ihr Geld zählten. Sie erzählte es sogleich ihren Gefährten. Diese fingen sogleich ein Wutgeschrei an und brachten es endlich dahin, daß die Nachtmänner mit leerer Hand von ihrer Beute sprangen. Der Müller aber war behende und packte dem Esel, Ochs und sich selber Schätze auf, daß sie sie kaum fortbringen konnten.
Sobald es Tag wurde, kehrte der Müller und seine Gesellschaft in seine Heimat zurück und dachte nicht mehr an seine Wallfahrt. Jedes Tier ging an den gewünschten Platz hin. Wie es nun Abend wurde, ging der Müller ins Dorf zu einer Unterhaltung. Da begegneten ihm zwei Diebe, welche den Müller kannten und eben von seinem Glück gehört hatten. Bei diesem Müller brechen wir heute ein, sagte einer zum andern und gingen gerades Weges dem Hause des Müllers zu. Es gelang ihnen wirklich in die Stube hinaufzukommen, und sie berieten, wo er etwa das Geld haben würde.

Als nun der eine die Schublade des Tisches herauszog und die verschieden gefärbte Gans erblickte, sprach er zum andern:

"Du lauf hinaus, eine Hexe ist da!"

Da sie aber in die Küche kamen, schlug der Hahn im Kamin seine Flügel hin und her, daß mancher Unrat herab fiel. Auch hier getrauten sie sich nicht länger aufzuhalten und gingen der Mühle zu. Aber auch hier erblickten sie zu ihrem Schrecken die Katze mit ihren zwei feurigen Augen. Der zuerst hineinging, sprang zurück und schrie:

"Der Teufel da, der Teufel da."

Von diesem Geschrei gestört, stampften Ochs und Esel auf dem Stadeltennen und das Schwein grunzte beim Düngerhaufen, daß der Hahn auf der Spitze des Kamins sein Wachgeschrei anstimmte. Er schrie:

"Kikeriki."

"All' sein mir hin", sagten sie zueinander.

Der Müller hatte von selber Zeit an Arbeit genug und keine Maus mehr in der Mühle.

Quelle: aufgezeichnet von Ignaz Zingerle. Erzähler: Ignaz Schmied, Strand bei Tarrenz.
Dieses Märchen wurde aus dem Archiv der Familie Zingerle von Helga Rogenhofer-Suitner aufgefunden.
Helga Rogenhofer-Suitner, Bemerkungen zu den Märchen- und Sagensammlungen der Brüder Zingerle, in: Der Schlern 61, 1987, S. 395 - 412.